IWF-Gipfel beginnt am Freitag: Die Arroganz schwindet

Mit 750 Milliarden US-Dollar soll die Wirtschaftskrise in vielen Schwellenländern antizyklisch bekämpft werden - auch ohne strenge Vorgaben von außen.

Bekommt auch mal Lob von globalisierungskritischen Ökonomen: IWF-Präsident Dominique Strauss-Kahn. Bild: dpa

Wenn es in dieser Finanzkrise einen Gewinner gibt, dann dürfte das der Internationale Währungsfonds (IWF) sein. Plötzlich ist nicht nur seine Hilfe gefragter denn je, sondern auch sein Rat, der vor allem bei Ländern des Südens lange verpönt war. Die Ukraine, Ungarn, Pakistan und Mexiko - sie und noch viel mehr Länder haben sich in der aktuellen Krise schon vom IWF unter die Arme greifen lassen.

Juli 1944: Mit der Unterzeichnung eines Abkommens zur umfassenden Neuordnung des Weltfinanzsystems auf der internationalen Konferenz von Bretton Woods in New Hampshire (USA) wird die Gründung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank beschlossen.

Mai 1946: Der IWF nimmt seine Arbeit in Washington auf.

1965: 100 Staaten sind Mitglied des IWF.

November 2006: Stimmverteilung der größten IWF-Mitglieder: USA: 16,83 Prozent; Japan: 6,04 Prozent; Deutschland: 5,90 Prozent; Frankreich: 4,87 Prozent; Großbritannien: 4,87 Prozent; China: 3,67 Prozent.

April 2009: Die G 20 beschließt in Reaktion auf die Wirtschaftskrise, die Mittel des IWF um das Dreifache auf 750 Milliarden Dollar zu erhöhen.

Keine internationale Runde - von der G 8 bis zur G 20 - kommt ohne den Verweis auf die tragende Rolle des IWF in einer künftigen Finanzarchitektur aus. So haben sich die 20 großen Industrie- und Schwellenländer für eine "deutliche Stärkung der internationalen Finanzinstitutionen, vor allem des IWF" ausgesprochen. So steht es in ihrer Abschlusserklärung des Finanzgipfels Anfang April in London. Dieser wurde zusammen mit dem neu aufgestellten Financial Stability Board (dem früheren Financial Stability Forum) als eine Art Wächter beauftragt, der bei wirtschaftlichen und finanziellen Risiken rechtzeitig Alarm schlagen, aber dann auch entsprechende Empfehlungen ausarbeiten soll. Dass sie es mit der Aufwertung des Fonds ernst meinen, zeigten die G-20-Staaten, indem sie ihm eine Verdreifachung seiner Mittel auf 750 Milliarden US-Dollar zusagten, um für etwaige Notkredite gewappnet zu sein. Vor wenigen Tagen hat US-Präsident Barack Obama nun konkret angekündigt, den IWF mit einem Kredit von 100 Milliarden Dollar zu unterstützen.

Und dann gibt es sogar noch Lob von unerwarteter Seite. So schrieb unlängst Dani Rodrik, ein eher globalisierungs- und IWF-kritischer Wirtschaftsprofessor an der Harvard University: "Unter seinem fähigen Direktor Dominique Strauss-Kahn war der IWF eine der wenigen Institutionen, die der Situation voraus waren statt hinterherzuhinken." Ganz im Gegensatz zu seiner bisherigen sehr konservativen Politik des enger geschnallten Gürtels hat er diesmal schon früh für umfangreiche Konjunkturprogramme getrommelt, als die meisten Regierungen dies noch für unnötig hielten. Zudem habe er ausgesprochen schnell reagiert und eine Notfallkreditlinie bereitgestellt.

In Krisen wie jetzt blüht der Fonds auf, sie sind sein Lebenselixier. Gerade prognostizierte er für 2009 eine Schrumpfung der Weltwirtschaft um 1,3 Prozent. Das wäre der erste Rückgang seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zuvor hatte er in seiner Prognose "besorgniserregende Parallelen" zur Großen Depression der Dreißigerjahre gezogen.

Ein Mangel an Krisen treibt den IWF umgekehrt selbst in die Krise. So geschehen in den Jahren vor der derzeitigen Finanzkrise. Ein Land nach dem anderen - Russland, Brasilien, Indonesien, um nur einige zu nennen - befreite sich vom IWF und seinen neoliberalen Programmen, indem es seine Schulden zurückzahlte. In Asien, aber auch Lateinamerika stockten Staaten ihre Devisenreserven auf und schlossen Beistandspakte, um auch in der Krise vom IWF unabhängig zu sein.

Fehler eingeräumt

Verzweifelt, aber mit nur mäßigem Erfolg suchte der IWF nach einer neuen Rolle. "Ratgeber des Vertrauens" wolle man werden, fantasierte der damalige IWF-Chef Rodrigo de Rato. Dumm nur, dass niemand den Rat des IWF hören wollte, der sich so oft als falsch, ja schädlich herausgestellt hatte. In der Asienkrise 1997 und 1998 beispielsweise hatte er die betroffenen Länder gezwungen, ihre Zinsen zu erhöhen und Ausgaben zu senken - genau das Gegenteil der antizyklischen Konjunkturankurbelung, die Industrieländer in solchen Fällen betreiben. Die Wirtschaftskrise wurde dadurch nur noch verschlimmert und verlängert.

Inzwischen hat der Fonds selbst ein paar Fehler im Umgang mit der Asienkrise eingeräumt. Seit vergangenem Monat bietet er zum Beispiel von der Finanzkrise betroffenen Staaten, deren Wirtschaft ansonsten solide ist, eine neue Kreditlinie praktisch ohne Auflagen. Mexiko erhielt so bereits 47 Milliarden Dollar, Polen und Kolumbien haben sich darum beworben. Und immerhin beinhalten die Programme, die der IWF der Ukraine und Pakistan im Gegenzug für Hilfskredite auferlegte, auch eine Erhöhung der Sozialausgaben. "Das ist ungewöhnlich", findet Peter Wahl von der entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation Weed. "Aber eine Schwalbe macht noch keinen Frühling: In den anderen Programmen, etwa für Ungarn, Lettland oder Serbien, fordert der IWF Ausgabendisziplin und Schuldenabbau und verfolgt somit weiter eine prozyklische, also krisenverschärfende Politik."

Die auf dem G-20-Gipfel in London verkündeten 1,1 Billionen Dollar für die Entwicklungsländer, die hauptsächlich über den IWF fließen sollen, seien als eine Art Konjunkturprogramm für den Süden begrüßenswert und alternativlos, sagt Wahl. Doch "ohne Veränderung der orthodoxen Programme des IWF ist es, als ob die Feuerwehr losgeschickt wird, den Brand mit Benzin zu löschen". Ob es zu solchen Veränderungen kommen werde, das müsse nun am Wochenende die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank zeigen.

Stimmrechte reformieren

Wahl ist nicht der einzige Skeptiker. Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der sich vom einstigen Chefvolkswirt der IWF-Schwesterorganisation Weltbank zu einem der wortgewaltigsten Kritiker der beiden Finanzinstitutionen entwickelte, warnte: "Die systematische Unterstützung einer prozyklischen Wirtschaftspolitik in den Entwicklungsländern - während die Industriestaaten eine antizyklische Politik verfolgen - schadet nicht nur den Entwicklungsländern, sondern trägt auch zur globalen Instabilität bei."

Erneut dürfte auch die Reform der Stimmrechte auf der Tagesordnung der Frühjahrstagung in Washington stehen. Seit Jahren verspricht der IWF, sich stärker dem Einfluss der Entwicklungsländer - zumindest der Schwellenländer - zu öffnen. Die größten Volkswirtschaften haben den größten Anteil ("Quoten") am Fonds und damit auch die meisten Stimmen. Doch wurden die Stimmgewichte bei weitem nicht an den stark gewachsenen Anteil der Schwellenländer an der weltweiten Wirtschaftsleistung angepasst. Jahrelang wehrten sich Europäer und US-Amerikaner gegen den Verlust ihrer praktisch alleinigen Entscheidungsgewalt. Vor einem Jahr beschloss der IWF ein erstes Reformschrittchen, das den Stimmanteil der Entwicklungs- und Schwellenländer allerdings gerade mal von 39 auf 42 anhob. Nicht mal dies wurde bisher vom US-Kongress abgesegnet, beklagte IWF-Chef Strauss-Kahn. Nun aber beauftragte die G 20 den IWF, bis 2011 eine weitere Stimmrechtsreform abzuschließen. Dieses Versprechen schien nötig, um die reicheren Schwellenländer - vor allem China - dazu zu bewegen, sich an der Finanzierung der Krisenbekämpfung zu beteiligen.

Wie wird der IWF nun "mit seiner wiedergewonnenen Macht umgehen?", sorgt sich Harvard-Ökonom Rodrik. Sympathisch sei zwar, dass 65 Jahre nach der Gründung des IWF die Europäer den Anspruch auf Besetzung des Chefpostens aufgegeben hätten - ebenso wie die USA künftig nicht mehr automatisch den Weltbankdirektor stellen. Aber um auch das Vertrauen der Entwicklungsländer zu erwerben, sei neben der überfälligen Stimmrechtsreform eine neue Unternehmenskultur unabdingbar. Viele Wirtschaftsexperten des IWF hätten zu wenig Ahnung von den realen Problemen in den ärmeren Ländern. Es herrsche vielmehr "Arroganz und Überlegenheitsgefühle über die Partner". Rodriks Lösungsvorschlag: Mehr Ökonomen mit praktischer Erfahrung in der Entwicklungsarbeit vor Ort einstellen und mehr Fachleute vom Hauptsitz in Washington in die betroffenen Länder versetzen.

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