Kunst und Indierock auf dem Donaufestival: Fünf mentale Ausrufezeichen

Seit fünf Jahren schon verbindet das Pop-Kunst-Performance-Highlight Donaufestival im österreichischen Städtchen Krems zwei Wochen lang beliebte Namen und abseitige Newcomer.

Der amerikanische Schlingensief? Reverend Billy in Action. Bild: Jefferson Siegel

"Wie, Donaufestival?" Der Taxifahrer vor dem Bahnhof des kleinen Weinbaustädtchens Krems ist überfordert. "Wollen Sie vielleicht zur Kunstmeile oder zu einem Festival mit ganz vielen Kulturen?" versucht er weiterzuhelfen. Fast. Wir wollen zum Donaufestival, das, wie wir trotz fehlender Beschilderung bald herausfinden, seit fünf Jahren gut 500 Meter vom Bahnhof entfernt stattfindet und mit seiner Sicht auf "Pop als experimentelles Kunstfeld" hauptsächlich reifere SzenegängerInnen aus dem ca. eine Stunde östlich gelegenen Wien anzulocken zu scheint.

Während man sich in einer Pressemeldung rühmt, bereits Karten für Gäste aus 20 Ländern verkauft zu haben, wirkt das jährlich über einen Zeitraum von zwei Wochen stattfindende Konzert-Performance-Theater-Spektakel im beschaulichen Zentrum der niederösterreichischen Wachau wie ein Fremdkörper. Obwohl die 30.000-Einwohner-Stadt ganze drei Hochschulen zählt, finden sich vor dem Eingang des Festival-Geländes kaum Fahrräder, und die örtliche Jugend unterhält sich brüllend im Zug: "Des Donau-Festival? Da geht kaner von uns hin."

Auch die nicht vorhandenen Zeltburgen und die fehlenden Imbissstände weisen darauf hin, dass es dem künstlerischen Leiter Tomas Zierhofer-Kin, früher unter anderem bei den Salzburger Festspielen tätig, nicht um ein gut funktionierendes ‚Gebrauchs-Festival’ geht, sondern um ein mit avancierten internationalen Pop-Acts gezuckertes, "antibürgerliches Aufbrechen der Theatertradition" – dieses Jahr unter dem beziehungsreichen Titel "Fake Reality".

So wird gleich die Fahrt mit dem Shuttle-Bus von Wien zum Festivalgelände für eine Intervention des antirassistischen, afrikanisch-österreichischen Kunst-Kollektivs "Slum-TV" genützt: drei Akteure der auch auf dem Festival mit einem inszenierten Slum vertretenen Gruppe, die Schwarzen als Weiße und der Weiße als Schwarzer ‚umgeschminkt’, versuchen, allerdings mit mäßigem Erfolg, rassistische Klischees in ihr Gegenteil zu verkehren und damit ad absurdum zu führen.

Auf der Veranstaltung selbst gibt es wieder Produktionen, die den Begriff des bürgerlichen Theaters sprengen sollen, wie dieses Jahr das Auftragswerk "Das Tortenstück" vom beliebten Wiener Radio-Berserker Fritz Ostermayer mit Nachwuchs-Düster-Star Soap&Skin, oder die genderterroristische Performance von Ann Liv Young, die eine fundamental-christliche Radiosendung pervertiert, oder auch einen Auftritt des "amerikanischen Schlingensief" Reverend Billy, der mit seinem Stop Shopping Gospel Choir das Klingeln der Registrierkassen exorziert.

Doch, und das weiß auch der kunstsinnige Festivalleiter, die wahren Publikumsmagnete heißen dann doch anders. Am Eröffnungsabend z.B. Sonic Youth, was uns ein dürrer junger Langhaar-Amerikaner, der durch die pittoresken Altstadtsträsschen irrt und die Minoritenkirche sucht, in der das aktuelle Nebenprojekt vom Rock-Ehepaar Kim Gordon/Thurston Moore, Mirror/Dash, den fast spirituellen Auftakt zum spätabendlichen Konzert gibt, wie eine magische Formel zuflüstert: "Sonic Youth!" Raunt’s mit leuchtenden Augen und fünf mentalen Ausrufezeichen, bevor er uns nach dem Weg zum Youth Hostel fragt.

Ein deutscher Nachwuchs-Journalist ist extra für zwei Wochen aus Berlin angereist, weil er dort keine Karten mehr für das Antony & the Johnsons-Konzert bekommen hat – da nimmt er es gerne in Kauf, wild in den Kremser Weinbergen zu zelten.

Der Auftritt der als avantgardistischste Vertreter einer uferlosen Musik gefeierten No-Neck Blues Band hingegen, der sich mit der weihevoll sphärischen, fast wie eine Paartherapie wirkenden Darbietung von Mirror/Dash überschneidet, zieht eher das ältere, Popdiskurs-geschulte Publikum an.

Die Idiosynkrasien des filzbärtigen, von einem Zuschauer liebevoll österreichisch als "Wurzelsepp" titulierten Frontmannes, der durch die Menge seiner auf der Bühne knienden, Gerüste hochkletternden und schreiend Keyboards und obskure Instrumente bearbeitenden MitstreiterInnen watet, werden mit ihrer dekadenüberspannenden Bandbreite von Krautrock zu Noise interessiert bis nachsichtig aufgenommen.

Euphorie und sogar – sofort streng sanktioniertes – Stagediving kommen dann erst beim routinierten Indierock-Set von Sonic Youth auf. Und auch drei Tage später, nach gut frequentierten Performances von Alt-Stars wie den Butthole Surfers, Spiritualized oder der italienischen Dario-Argento-Progrock-Legende Goblin begeistern beim von den Chicks on Speed kuratierten Girl-Monster-Abend die toughen lesbischen Rapperinnen von Yo Majesty oder "Men", das neue Projekt von Le-Tigre-Mitglied J.D. Samson.

Der Abend, bei dem thematisch ineinandergreifende Auftritte zwischen Tanz- und Nähperformance, Newcomern wie Anat Ben David, Legenden wie den Raincoats und Allstar-Kooperationen wie dem von Gustav gelieteten Girl Monster Orchestra einander Schlag auf Schlag jagen, zeigt exemplarisch die Stärke dieses so ungewöhnlichen Festivals: Überraschendes, Diskursives und gerade Heißes wird mit lange Geliebtem verbunden – und alle sind glücklich. Oder zumindest die Szene-Interessierten, die sowieso schon Bescheid wissen und den Weg finden.

Das Donaufestival läuft noch bis zum 02.05. mit Auftritten von Aphex Twin, Stereolab, CocoRosie, Antony and the Johnsons u.v.a.

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