London Calling
: Blairs Pygmäen

taz-Medienredakteur Steffen Grimberg arbeitet im Rahmen eines Journalistenaustauschs zurzeit bei der britischen Tageszeitung „The Independent“ in London. In seiner neuen wöchentlichen Kolumne schreibt er über die lieben britischen Kollegen

Natürlich kann man so etwas für schlechten Stil halten: Da veröffentlicht der ehemalige Botschafter Ihrer Britannischen Majestät in Washington knapp zwei Jahre nach seiner Rückkehr nach London seine Memoiren mit dem reißerischen Titel „DC Confidential“. Drinnen finden sich dann wunderschön höhnische Zitate über die politischen Spitzenkräfte der Regierung von Premierminister Tony Blair, von denen die meisten praktischerweise noch in Amt und Würden sind.

Außenminister Jack Straw, „den man vielleicht mögen, aber nicht bewundern kann“, hatte bei seinen nicht eben unwichtigen Gesprächen mit der US-Regierung plötzlich „Knoten in der Zunge“ und bekam kaum ein gerades Wort heraus. Überhaupt sei der Außenminister bei den Verhandlungen über den Krieg im Irak stets außen vor gewesen, während Blair mit George W. Bush direkt gekungelt hätte.

Der stellvertretende Premierminister John Prescott sei in der Botschaft immer wie ein Mastiff angekommen, dem sich das Fell sträubt: „Prescott nahm seine Rolle als stellvertretender Premierminister sehr wichtig“, schreibt Meyer, und „bestand stets darauf, vom Vizepräsidenten empfangen zu werden und die ganze Bandbreite der Außenpolitik zu besprechen. Das Problem war nur, dass er nie wirklich vorbereitet war und immer nervös wirkte.“ Und so, schreibt Meyer, habe Prescott bei Gesprächen über den Kosovo-Konflikt seine amerikanischen Partner schon mal mit Begriffen wie „Krieg in den Balklands“ oder auch in „Kovoso“ irritiert. Ansonsten, so Meyer, schätze er Prescott aber „wirklich“ – die meisten anderen britischen Politiker ließen sich nämlich von ihrem amerikanischen Gegenüber wie „Pygmäen“ vorführen.

Kein Wunder, dass sich die britischen Zeitungen um den Vorabdruck von Meyers Memoiren rissen. Die stockkonservative Daily Mail und der liberale Guardian gingen als Sieger aus dem Rennen um die Rechte hervor. Und die Reaktionen von Blair & Co. ließen nicht lange auf sich warten: Meyer hatte zwar seine Memoiren – wie vorgeschrieben – vor der Veröffentlichung beim Cabinet Office der Blair-Regierung vorgelegt. Außenminister Straw warf Meyer dennoch Vertrauensbruch vor, ranghohe Beamte distanzierten sich scharenweise vom Exdiplomaten, den Tony Blair höchstpersönlich mit gerade einmal 53 Jahren. zum Botschafter in den USA kürte.

Parallel hagelte es Beschwerden über die Vorabdrucke beim britischen Äquivalent des Presserats, der Press Complaints Commission (PCC). Spätenstens hier wird die Sache dann mehr als lustig. Denn der Vorsitzende dieses Selbstkontrollorgans der britischen Zeitungen heißt seit Ende 2003 – Sir Christopher Meyer. Nach Ansicht der britischen Verleger und Chefredakteure macht er seinen Job bei der PCC offenbar gut – Meyers Vertrag wurde in diesen Tagen um weitere drei Jahre verlängert. Ein „PCC Confidential“, so Meyer in einem Interview, werde er aber nicht schrieben. Dazu gebe der Job schlicht zu wenig her. STEFFEN GRIMBERG