die wahrheit: Lebende Leichen

Neue Totenschau: Der Innereienvorzeiger Gunther von Hagens betreibt weiter sein Gruselgeschäft und bekommt Konkurrenz.

Einer der zombiehaften Bewohner des Örtchens Altenbeken dient als Blickfang der dortigen Ausstellung. : ap

"Die Nacht der reitenden Leichen" heißt es seit einigen Tagen im Berliner Postbahnhof. Gunther von Hagens ist zurück und mit ihm der eine oder andere Angestellte seiner Gubener Leichenfabrik, diesmal jedoch als Exponat. In der Grenzstadt an der Neiße ist die Arbeitslosigkeit besiegt. Noch bunter und noch lebendiger, im Rahmen der jedem Verstorbenen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, stellt sich die neue Ausstellung "Körperwelten" dar: Frankensteins hipper Urenkel zeigt die Leichen diesmal in Aktion, im Zusammenspiel mit Tier und Mensch, als Ross und Reiter, beim Sport und beim Sex.

"Ich schenke den Menschen noch Träume", verspricht von Hagens, und tut darin unbestritten ein gutes Werk: Wann kommen denn chinesische Häftlinge schon mal zum Golfspielen, allzumal bereits hingerichtete?

Sogar ein totes Paar beim Vögeln wird gezeigt, freilich in einem separaten Zimmer, um die Liebenden nicht beim letzten Verkehr zu stören - auch ein von Hagens kennt am Ende Grenzen.

Andere möchte er dafür einreißen: "Ich will auf Dauer mehr Groove in die Sache bringen", wünscht sich der Nekrophilatelist nicht zuletzt mit Blick auf das morbide Schäferstündchen, das allzu sehr noch einem Schläferstündchen gleicht. "Ich stehe bereits mit den namhaftesten Marionettenspielern des Landes in Verbindung." Geprüft wird, ob nicht Elektromotoren eingebaut werden können. Spätestens in zwei Jahren sollen sich die Toten endlich auch bewegen.

Ein ehrgeiziges Vorhaben, dessen erste Früchte dann vermutlich in Dortmund zu besichtigen sein werden. In Gemeinschaftsarbeit mit dem DFB soll von Hagens das dortige neue Fußballmuseum bestücken. Der ambitionierte Plan sieht eine plastinierte Spielfläche mit der plastinierten Weltmeistermannschaft von 1954 vor. Mit den meisten Spielern könnte man schon anfangen - nur auf die letzten drei Lebenden muss noch gewartet werden, doch wofür gibt es Ersatzspieler? Und auch die Ungarn dürfen nicht fehlen. Was wird das für ein Anblick: Der ausgestopfte Helmut Rahn klappert wie ein Duracell-Häschen durch die ungarische Abwehr, müsste aus dem Hintergrund schießen, Rahn schießt … Toooor! Toooor! Toooor! Toooor!

Einem allerdings gehen die neuen Ansätze Gunther von Hagens noch lange nicht weit genug. Es ist ausgerechnet Siegfried von Hagens, der jüngere Bruder des Kunstfledderers und seit einem Kindheitsstreit um einen toten Igel dem älteren spinnefeind gesonnen.

"Gunther ist ein Schwachkopf ohne wahre Utopien", lärmt es keck aus dem beschaulichen Altenbeken, wo Siegfried zurzeit eine eigene Ausstellung mit eigenen Exponaten aufbaut. "Vögelnde Leichen: so ein Quatsch! Das stößt doch gerade langjährige Paare komplett vor den Kopf, indem es sie fatal ans eigene Liebesleben erinnert. Und diese Animation mittels Marionettentechnik oder Batterie ist eine völlig unbefriedigende Lösung. Die marschieren doch wie die Zombies. Bei mir wird es hingegen echte lebende Leichen zu sehen geben", so Siegfried von Hagens.

Das Menschenmaterial ist bereits vorhanden. Mehrere Altenbekener Taxifahrer und Verwaltungsbeamte haben sich bereit erklärt, ihre Körper einem staunenden Publikum zur Schau zu stellen. "Die bewegen sich völlig natürlich, wenn auch wenig, aber gerade das ist ja das Realistische. Anfangs haben wir noch damit experimentiert, dem einen oder anderen die Haut abzuziehen, doch in der Folge wieder davon gelassen: Erstens sieht das schlicht eklig aus - ich verstehe sowieso nicht, warum die Besucher der ,Körperwelten' das nicht bemerken -, und zweitens wollen wir uns ja auch von Gunthers Dreck unterscheiden: Schließlich sind das lebende Leichen und nicht tote", sagt Bruder Siegfried.

Viel Haut bekommen die Besucher dennoch nicht zusehen. "Ein Museum ist doch kein FKK-Strand", so von Hagens plausibler Einwurf, "außerdem mögen das die Altenbekener gar nicht!" Die lebenden Leichen erhalten stattdessen Uniformen, ähnlich denen von Museumswächtern - das passt auch ins Ambiente. Dabei propagiert der Künstler durchaus eine haptische Nähe zu den Kunstwerken und fordert die Interessierten ausdrücklich auf: "Haben Sie keine Scheu: Gehen Sie ruhig hin, fassen Sie die Leichen an, sprechen Sie mit ihnen. Denen ist oft unheimlich langweilig." ULI HANNEMANN

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