EIN STICKER „FOR MARX“ UND DREI PFANDFLASCHEN
: Das Kino und die Ökonomie

VON DETLEF KUHLBRODT

DRAUSSEN IM KINO

Vor der Berlinale hatte ich lange mit dem Künstler Taocheng Wang über Wong Kar-Wai diskutiert. Ähnlich erfolglos, wie ich vor zwanzig Jahren versucht hatte, französischen Freunden klarzumachen, dass Wenders Kitsch und Kunstgewerbe ist und es weniger bekannte deutsche Filmemacher gibt, die viel besser sind, versuchte mir der chinesische Freund klarzumachen, dass die Filme von Wong Kar-Wei eigentlich nichts taugen, wegen Posen, Manierismen etc. Meine Lieblingsfilme von Wong Kar-Wai, „Chungking Express“ und „Fallen Angels“, sind allerdings auch schon eine Weile her. Sie wurden 1995 im Forumsprogramm gezeigt.

Auf dem Filmplakat von „Fallen Angels“, das zufälligerweise in meinem Zimmer hängt, steht irgendwo, halb versteckt, der Satz: „B.U. is still the best“. Das ist natürlich richtig, allerdings bringt man selbst zu sein auch nicht immer Spaß – wenn man am Geldautomaten steht und nur noch 50 Euro weiter überziehen kann, weil die 1.000 Euro eines Auftraggebers, der vermutlich selbst grad in Schwierigkeiten steckt, immer noch nicht überwiesen sind. Die Miete ist auch noch nicht überwiesen – auweia!

Ein wenig unterscheide ich mich schon von den Berlinale-Besuchern, über die eine Berliner Boulevardzeitung „das Botox-Gefühl“ getitelseitet hat, weil sie sich Botox in die Füße spritzen, weil die Füße sonst so wehtun, wenn sie ständig in High Heels auf roten Teppichen und irgendwelchen Partys herumtanzen müssen. Das ist nicht so mein Ding. Außerdem besitze ich überhaupt keine High Heels.

Stattdessen sitze ich lieber im Kino. Wie in der dänisch-mexikanischen Koproduktion „Killing Strangers“ von Jacob Schulsinger und Nicolás Pereda, in der ein Laienschauspieler auf Spanisch das tolle Beatles-Lied „Revolution“ rezitiert. Super! Anders als zu Hause fühle ich mich gleich wieder zu Hause. Im Kino.

Das Tolle im Kino ist ja auch, dass man nicht ständig aufstehen kann. Oder rauchen, E-Mails checken usw., obwohl das viele Kollegen tatsächlich mithilfe ihrer Handys bis zum Anpfiff und sofort auch wieder nach dem Abpfiff taten bzw.: facebookten. Der Film war auch so erholsam, weil darin nicht so viel passierte.

In der Schlange für den nächsten Film fragte ein Produzent einen Regisseur: „How much are you looking for?“ Der Regisseur antwortete: „2 Million.“

Der griechische Film „I kóri“ (Die Tochter) von Thanos Anastopoulos, der vor dem Hintergrund der Krise in Griechenland spielt, erzählt von der 14-jährigen Myrto. Ihr Vater, der eine Schreinerei besitzt, ist geflüchtet, weil er seine Schulden nicht bezahlen kann. Er kann seine Schulden nicht bezahlen, weil ihm sein Geschäftspartner Geld schuldet. Myrto entführt den 8-jährigen Sohn des Geschäftspartners ihres Vaters und droht, diesen zu zersägen. Es gibt ein paar Passagen in dem Thriller, in denen man dann doch lieber wegguckt.

Supergut gefiel mir dann auch der russische Film „For Marx“ von Svetlana Baskova, der von den Arbeitern einer Stahlfabrik erzählt, die sich entschlossen haben, wegen ihrer unzumutbaren Arbeitsbedingungen eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen. Die mit ehemaligen KGB-Leuten und Staatsdienern verbündeten Fabrikbesitzer versuchen das zu verhindern. Teils ironisch überzeichnet mit lesenden Arbeitern, die über Brecht, Belinski und Godard diskutieren, teils wirklichkeitsorientiert, entwickelt sich ein tolles Drama, mit einem schönen Blutbad als Finale. Vor dem Kino wurden Sticker verteilt, auf denen „For Marx“ stand.

Auf dem Nachhauseweg fand ich drei Flaschen, 24 Cent – immerhin etwas.