Sparen für den Chef

Die Rente ist nicht sicher. Das hat inzwischen sogar Arbeitsministerin Ursula von der Leyen erkannt. Eine bisher wenig beachtete Mogelpackung ist die sogenannte Betriebsrente, die vor allem eins ist: ein Skandal

von Dietrich Krauß

Bernd Schmid betreibt einen Verleih für Kameraequipment und wollte seinen Mitarbeitern etwas Gutes tun. Statt einer Lohnerhöhung hat er einen Teil des Gehaltes, steuer- und abgabenfrei, in eine Direktversicherung angelegt. Entgeltumwandlung heißt diese Form der betrieblichen Altersvorsorge, die seit 2001 möglich ist. Als ihm das ARD-Magazin „Plusminus“ kürzlich vorrechnete, dass seinen Mitarbeitern von dieser Betriebsrente später gerade mal 50 Prozent netto übrig bleiben wird, ist er ebenso sprachlos wie seine Belegschaft.

Dabei dachte der Kameraverleiher doch, er habe seinen Mitarbeitern etwas Gutes getan, als er auf seinen Berater hörte. Der empfahl die Entgeltumwandlung wegen der Steuer- und Beitragsersparnis. Dass er von ihm auch auf horrende Abzüge bei der Auszahlung hingewiesen worden wäre, daran kann sich Bernd Schmidt nicht erinnern.

Was also hat es mit der viel beschworenen Betriebsrente auf sich?

Seit 2000 ruht ein „modernes“ Rentensystem auf mehreren Säulen. Wenn Säule eins und Säule drei – gesetzliche Rente und Privatvorsorge – schwächeln, so sagte sich die Politik, könnte man es ja mal mit der zweiten Säule probieren, der betrieblichen Altersvorsorge. So will es vor allem die SPD und schlägt in ihrem Rentenkonzept einen Ausbau der betrieblichen Vorsorge vor. Aber bislang erweist sich auch diese Säule als wenig tragfähig. Und bislang haben die wenigsten realisiert, wie ihr Unwissen gepaart mit dem guten Willen zur Vorsorge in diesem Bereich ausgenützt wird.

Entgeltumwandlung wird auch als Eichel-Förderung bezeichnet und gehört zur Trias der Schröder'schen Reformen mit den Eigennamen Peter Hartz, Hans Eichel und Walter Riester, eingeführt 2001. Aber obwohl Millionen Arbeitnehmer mitmachen und geschätzt neun Milliarden Euro auf diesem Weg fürs Alter zurücklegen, ist die kleine Schwester der Riester-Rente öffentlich kaum bekannt.

Der Rentenbetrug auf Samtpfoten

Das Altersvermögensgesetz Paragraf 3, Nr. 63 Einkommensteuergesetz wurde parallel zur Riester-Rente 2001 durchs Parlament gebracht. Es sollte den Arbeitnehmer großzügig beim Sparen über den Betrieb fördern. Jüngste Berechnungen aber zeigen: In Wahrheit entlastet diese Form der betrieblich organisierten Privatvorsorge, wie schon bei Riester, vor allem die Arbeitgeber von Sozialbeiträgen. Ein Rentenbetrug auf Samtpfoten.

Die Eichel-Rente heißt zwar noch Betriebsrente, ist aber zunächst einmal rein arbeitnehmerfinanziert. Der Arbeitgeber schließt zwar für den Arbeitnehmer einen Vertrag, gibt aber – wenn überhaupt – nur Zuschüsse.

Normalerweise muss der Arbeitnehmer auf sein gesamtes Einkommen Steuer und Sozialabgaben zahlen. Nicht so, wenn er betrieblich mit sogenannter Entgeltumwandlung vorsorgt. Dann kann der Arbeitnehmer seit 2001 bis zu vier Prozent seines Bruttoeinkommens in eine betriebliche Altersvorsorge stecken und muss für diese vier Prozent keine Steuern und Abgaben abführen. Wer also 2.500 Euro verdient, kann 100 Euro direkt brutto für netto in eine Betriebsrente ansparen. Statt 2.500 Euro zahlt der Arbeitgeber nur 2.400 Euro Bruttolohn, bei entsprechend niedrigeren Abgaben für beide Seiten. Die gesparten 100 Euro steckt er jeden Monat in eine Direktversicherung oder eine Pensionskasse, wo sie bis zur Rente Rendite erwirtschaften soll.

Wenn man von einem Steuersatz von 30 Prozent und Beiträgen von 20 Prozent ausgeht, steuert der Staat rund 50 Euro zu dem Sparbetrag bei. Wollte man dieselbe Nettosumme von 100 Euro aus seinem versteuerten Einkommen für eine private Altersvorsorge sparen, müsste man fast doppelt so viel Geld in die Hand nehmen. Dieser Vorteil, so die Werbebroschüren, sei unschlagbar. Bei der Auszahlung muss der Arbeitnehmer die Betriebsrente zwar komplett versteuern. Da die Renten und die Steuersätze im Alter jedoch deutlich niedriger liegen als die Einkommen und Steuersätze während der Berufszeit, bleibe immer noch ein deutliches Plus. Brutto-netto-Effekt nennt man diese Zauberformel, die die Sparwirkung verdoppeln soll.

So wird es auch in der Werbebroschüre der Metallrente herausgestellt. Dieses Versorgungswerk von Gesamtmetall und Gewerkschaft bietet für die Unternehmen und Mitarbeiter der Metallbranche betriebliche Altersvorsorge an. Der ehemalige Tarifexperte Herbert Karch ist ihr Vorstand und glühender Verfechter dieses Modells. Auch Niedrigzinsen können der Rendite demnach nichts anhaben. „Viel stärker wirken die staatliche Förderung, die das Geld fast verdoppelt, vielfache Arbeitgeberzuschüsse und nicht zuletzt unsere Großkundenkonditionen für alle Beschäftigten … All dies macht Betriebsrentenverträge lohnender als jede andere Sparform.“ So steht es auf der Homepage der Metallrente. Nur stimmt es leider nicht.

Einer hat mal nachgerechnet. Die Rechnung hat es in sich

Das kann der Versicherungsmathematiker Peter Schramm sehr genau belegen. Offenbar ist er bisher der Einzige im Land, der nach zehn Jahren Entgeltumwandlung einmal genauer nachgerechnet hat, was eigentlich hinten rauskommt beim Brutto-Netto-Spiel. Und diese Rechnung hat es in sich. Denn die Vorteile in der Ansparphase lösen sich bei der Auszahlung oft in Luft auf.

Schramm ist wohl einer der gefürchtetsten Versicherungsmathematiker des Landes. Er ist einer der wenigen unabhängigen Sachverständigen und hat lange selbst als Aktuar bei Versicherungen gearbeitet, kennt also die Innenperspektive. Die sogenannten Aktuare sind Produktdesigner der großen Konzerne. Sie jonglieren solange mit Lebenserwartungen und Risikoabschlägen, bis sich die Versicherung am Ende rechnet. Normalerweise finden sie ihr warmes Plätzchen bei Allianz und Co.

Doch Peter Schramm wollte da nicht mitspielen. Er sagt von sich, er sei allein der Wahrheit verpflichtet. Als er zeigte, wie die Versicherer Riester-Sparer ausnehmen, liefen die Lobbyisten Sturm. Vergeblich. Jetzt knöpft er sich die nächste Rentenblase der Ära Schröder vor. Auf Euro und Cent berechnet er, was von dem Ersparten übrig bleibt, wenn's an die Auszahlung der Eichel-Förderung geht.

Drei Faktoren lassen die Summe schmelzen wie Schnee in der Sonne. Zum Ersten die Steuern. 2005 wurde von der Regierung beschlossen, dass die Rente bei der Auszahlung ab 2040 komplett versteuert werden muss. Die Steuersätze für die Rente sind zunächst niedrig, haben aber kaum Freibeträge und steigen dann steil an. Die Betriebsrente kommt obendrauf und liegt für die allermeisten damit bei einem Steuersatz von 25 bis 30 Prozent. Im Gegensatz zu einer privaten Rentenversicherung, bei der nur der Ertragsanteil versteuert wird, muss man für die gesamte Betriebsrente Steuern abführen.

Auch der zweite Nachteil wird gerne übersehen. Die Entgeltumwandlung reduziert das Bruttoeinkommen und damit die Sozialabgaben. Wer weniger Rentenbeitrag zahlt, bekommt jedoch später weniger gesetzliche Rente ausgezahlt. Auch das Arbeitslosen- und Krankengeld sinkt, weil es sich an der Höhe des Bruttogehalts orientiert. Die Ausfälle sind umso höher, je mehr die Rente steigt, die wiederum orientiert sich am Durchschnittslohn. Bei 200 Euro monatlicher Entgeltumwandlung kann sich das zu Rentenverlusten von gut 90 Euro im Monat aufsummieren.

Der dritte Punkt schließlich macht der Rendite endgültig den Garaus. Der Arbeitnehmer muss auf seine Betriebsrente die vollen Krankenkassenbeiträge zahlen, also nicht nur den kompletten Arbeitnehmer-, sondern auch den vollen Arbeitgeberbeitrag. Das macht zusammen mit dem vollen Pflegebeitrag knapp 18 Prozent. Und diese 18 Prozent hat fast niemand der Kunden auf der Rechnung.

Bernd Schmidt kann sich nicht erinnern, darauf hingewiesen worden zu sein. Und Bernd Willmerdinger muss die teuren Sozialbeiträge sogar zahlen, obwohl er seine Direktversicherung zu einem Zeitpunkt abgeschlossen hat, als es weder Entgeltumwandlung noch Beitragspflicht überhaupt gab. Schon vor 2001 konnten bestimmte Arbeitnehmer Extrazahlungen steuer- und abgabenfrei für die Altersvorsorge anlegen. Wir besuchen den ehemaligen Personalchef eines Zementanlagenbetriebs in seinem Eigenheim in Günzburg.

Das Schicksal der Betriebsrente wurde für Willmerdinger in einer Nacht besiegelt, die Horst Seehofer später als die schönste seines Lebens bezeichnen sollte. Im Juli 2003 verhandelte der CSU-Politiker mit SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt über Reformen im Gesundheitswesen. Um die Finanzlücken bei den Krankenkassen zu stopfen, wurde quasi nebenbei beschlossen, dass auf alle Betriebsrenten künftig der volle Kranken- und Pflegeversicherungssatz fällig wird. Auch rückwirkend für längst geschlossene Verträge. Als Willmerdinger und Tausende andere ihre Betriebsrente abschlossen, gingen sie davon aus, dass sie diese auch voll ausgezahlt bekommen.

Jetzt wurde ihnen per Federstrich ihre Rente um beinahe 20 Prozent gekürzt, indem man ihnen nachträglich die vollen Sozialbeiträge aufbrummte. Die geschädigten Betriebsrentner organisierten sich und zogen bis vors Bundesverfassungsgericht, klagten wegen Verletzung des Vertrauensschutzes, beriefen sich auf bestehende Verträge. Vergeblich. Auch keine Partei will sich für ihre Sache starkmachen. Im großen Koalitionskonsens wurde beschlossen: Die Krankenkassen brauchten Geld, und die Betriebsrentner sollen zahlen.

Der Chef kassiert, weil die Arbeitnehmer aufs Alter sparen

Im Schatten der Riester-Reform wurde die Regelung praktisch ohne öffentlichen Protest eingeführt. Nur in Stuttgart mobilisierte die kämpferische IG Medien gegen die Rentenreformpläne, erinnert sich der ehemalige Ver.di-Ökonom und Chefvolkswirt der Linken, Michael Schlecht. Sogar eine Demo in Bad Cannstatt stellten sie mit der IG Metall auf die Beine. Doch da war der Zug schon unterwegs in Richtung betrieblich organisierter Privatvorsorge.

Und war da nicht noch etwas mit den Sozialbeiträgen? Richtig. Wenn der Chef einen Teil des Mitarbeiterlohns in die Altersvorsorge steckt, spart auch er selbst Sozialbeiträge, weil ja der Bruttolohn des Arbeitnehmers sinkt. Diese eingesparten Beiträge, immerhin 20 Prozent des Sparbetrags, fließen keineswegs automatisch den Arbeitnehmern zu, sie landen erst mal in den Taschen der Arbeitgeber. Bei rund 80 Prozent der Verträge kassiert der Arbeitgeber die gesparten Beiträge und bringt sie gerade nicht als freiwillige Leistung in die Versorgung der Mitarbeiter ein. Vorsichtig geschätzt landen auf diese Weise Jahr für Jahr eine Milliarde Euro bei den Arbeitgebern. Der Chef kassiert, weil die Arbeitnehmer fürs Alter sparen!

Die Regierung drückt beide Augen zu

Im Tarifvertrag steht sogar, warum: als Ausgleich für den Verwaltungsaufwand. Und die Bundesregierung? Die drückt ganz fest die Augen zu. Als die Kontext:Wochenzeitung das Arbeitsministerium mit den Schramm'schen Zahlen konfrontiert, flüchtet man ins Nebulöse. Doch, doch, die Entgeltumwandlung lohne sich weiter. Doch keine der Berechnungen des Versicherungsmathematikers wird wirklich widerlegt. Und so sparen die Arbeitnehmer weiterhin mit ihrer Betriebsrente – für den Chef.