Kanzlerin will helfen: Merkels Milchrechnung

Mit den hungernden Milchbäuerinnen vor ihrem Amtssitz wollte die Bundeskanzlerin nicht reden. Nun macht sie den Verfall der Milchpreise zu Chefinsache.

Kühe gucken statt reden mit Milchbäuerinnen: Merkel beim Ortstermin in Niedersachsen. : dpa

Überraschend hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den dramatischen Verfall der Milchpreise doch zu ihrer Sache gemacht. Nach einem Krisentreffen am Mittwochnachmittag besuchte sie am Donnerstag einen Bauernhof in Niedersachsen. Letzte Woche noch hatte die Kanzlerin Milchbäuerinnen, die vor dem Kanzleramt im Hungerstreik waren, um auf ihre desaströse Lage aufmerksam zu machen, ein Gespräch verweigert.

Hinter den Protesten der Frauen stand der Bundesverband der Deutschen Milchviehhalter (BDM), die junge Oppositionsbewegung zum Deutschen Bauernverband (DBV). Denn von dem fühlen sich viele Landwirte nicht mehr vertreten, weil er nur Lobbyarbeit für größere Agrarkonzerne, aber nicht für kleinere Familienbetriebe macht. DBV-Chef Gerd Sonnleitner steht für die Devise "Wachsen oder Weichen". Er kritisierte, ein Hungerstreik sei "nicht der Stil des Bauernverbands" - und kündigte Protest nach traditioneller Art an: Am kommenden Montag werden 500 Landwirte mit ihren Traktoren in die Hauptstadt fahren.

Alle Bauern klagen derzeit, weil die Preise für Lebensmittel verfallen. Wer Kühe hält, ist besonders verzweifelt: Etliche der 90.000 Milchbauern stehen vor der Pleite, weil sie nur noch 20 Cent pro Liter Milch bekommen, aber rund 40 Cent bräuchten, um rentabel zu wirtschaften.

Über Jahrzehnte zählte die Bauernschaft zu den Stammwählern der Union. Jetzt, kurz vor den Europa- und Bundestagswahlen, würden ihr nur noch 23 Prozent der Milchbauern ihre Stimme geben, sagt BDM-Gründer Romuald Schaber und verweist auf eine vom Verband in Auftrag gegebene Studie von TNS Infratest.

Schaber fordert, die Milchmengenproduktion müsse allein am Bedarf ausgerichtet werden. "Der Preis verfällt, weil zu viel Milch auf dem Markt ist", sagt er. Ein solches Milchquotensystem gibt es längst. Die EU will es aber 2015 abschaffen und bis dahin schrittweise die Produktionsmengen erhöhen. CSU-Agrarministerin Ilse Aigner schlug diese Woche vor, vorerst auf die einprozentige Erhöhung der deutschen Milchmengen zu verzichten. Das ist in dem Brüsseler System möglich, Frankreich macht es. Doch Aigner konnte sich in einer Sonderkonferenz mit den Kollegen aus den zumeist unionsgeführten Bundesländern nicht durchsetzen.

Am Montag kommt der EU-Agrarrat zusammen. Der belgische Agrarminister Benoît Lutgen hat seine Amtskollegen aufgefordert, die Milchmenge sofort um bis zu zwei Prozent zu senken. Schaber will, dass auch die deutsche Regierung Druck macht.

Merkel allerdings wollte nicht wissen, was der BDM zu sagen hat. Sie lud zu ihrem Ausflug aufs Land nur den niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff sowie die Chefs des Lebensmittelhändlers Edeka und der Molkerei Nordmilch ein - und DBV-Präsident Sonnleitner. Der will lieber Steuererleichterungen und vorgezogene Direktbeihilfen für die Bauern als Milchquoten. Für die Misere auf dem Land sei der Handel verantwortlich, weil "marktbeherrschende Discounter" den rund 120 Molkereien in Deutschland die Preise diktierten. Die Molkereien müssten fusionieren, um mehr Macht zu bekommen.

Das nutze nichts, sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin beim Umweltverband BUND. In Großbritannien gibt es noch fünf Molkereien, in Dänemark hat der Molkereikonzern Arla quasi ein Monopol. Benning: "Die Bauern verdienen dort darum nicht mehr."

Bei der Bundeskanzlerin kam Sonnleitners Argumentation besser an. Sie sagte den Milchbauern nach dem Hofbesuch rasche finanzielle Entlastungen zu. Die große Koalition arbeitet laut Merkel an einer Unterstützung etwa durch gesenkte Steuern für Agrardiesel oder vorgezogene Auszahlungen von Agrarhilfen. Auch Bürgschaften für Kredite seien möglich.

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