VW-Gehälter gehen an das Land

Wegweisendes Urteil des Braunschweiger Verwaltungsgerichts: Zwei SPD-Abgeordnete müssen ihre Nebeneinkünfte rückwirkend an die Landeskasse abführen. Sie hatten von Volkswagen Gehälter bezogen – ganz ohne Arbeitsleistung

AUS BRAUNSCHWEIGJÜRGEN VOGES

Ein wegweisendes Urteil gegen die politische Landschaftspflege durch Unternehmen hat gestern das Verwaltungsgericht Braunschweig gesprochen. Erstmals in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte wurden zwei Abgeordnete zur Rückzahlung verbotener Nebeneinkünfte verurteilt. Die niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen müssen zusammen 766.000 Euro aus Nebeneinkünften von Volkswagen an die Kasse des Bundeslandes abführen.

Damit wird eine Bestimmung des niedersächsischen Abgeordnetengesetzes zum ersten Mal angewendet, die Parlamentariern die Annahme von Nebeneinkünften verbietet, wenn diesen keine tatsächlich erbrachte Arbeitsleitung gegenübersteht. „Wir haben hier rechtliches Neuland zu betreten“, sagte denn auch der Vorsitzende der 1. Kammer des Braunschweiger Verwaltungsgerichts, Christian Büschen, gleich zu Beginn der Verhandlung. Ähnlich strenge Bestimmungen wie in Niedersachsen gelten bislang nur in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und im Bund.

Von den Argumenten der Abgeordneten ließ sich das Gericht nicht überzeugen: Ihr Anwalt Peter Rabe hielt den entsprechenden Paragrafen des Abgeordnetengesetzes für verfassungswidrig, weil er zu unbestimmt formuliert sei und etwa Selbständigen Nebeneinkünfte ohne eigenen Arbeitsleistung durchaus erlaube. Rabe zweifelte auch die Zuständigkeit des Gerichts und die Höhe der zurückgeforderten Summe an. Zudem machte er Vertrauensschutz für seine Mandanten geltend, die mehr als zehn Jahre ohne Beanstandungen des Landtages Nebeneinkünfte von VW erhalten hatten.

Die Regelungen des niedersächsischen Abgeordnetengesetzes seien verfassungsgemäß und vom Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1975 getragen, argumentierte dagegen der Richter. Volkswagen habe zwar keinen konkreten Einfluss auf die beiden Parlamentarier ausgeübt. Dennoch habe man den Eindruck gewonnen, dass „Interessenvertretung mit im Spiel gewesen“ sei.

Dieser Eindruck wurde auch durch die Zeugenaussage des ehemaligen VW-Personalvorstands Martin Posth nicht widerlegt. Der 61-Jährige hatte 1990 bei VW jene mittlerweile außer Kraft gesetzte Freistellungsrichtlinie zu verantworten, die VW-Mitarbeitern bei Übernahme eines Mandats Gehaltsfortzahlung zusicherte, aber letztlich von ihnen keine entsprechenden Gegenleistungen verlangte. Mit der Richtlinie habe man Mitarbeiter zur Übernahme von Mandaten motivieren wollen, sagte Posth. Hintergrund sei eine breite Diskussion in Unternehmerkreisen über „zu viele Gewerkschafter und Lehrer in den Parlamenten“ gewesen. Man habe von den Mitarbeitern „überhaupt keine Gegenleistung“ erwartet.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils ließ das Gericht die Berufung ausdrücklich zu. Rechtsanwalt Rabe prophezeite dem Urteil eine „gewaltige Präzedenzbedeutung“. Es werde Druck erzeugen, bundesweit ähnliche Regelungen für Abgeordnete einzuführen wie in Niedersachsen.