Blutige Revolte in Ostindien: Maoisten vertreiben Marxisten
Maoistische Rebellen bringen die Region Lalgarh unter ihre Kontrolle. Paramilitärs wollen das besetzte Gebiet stürmen. Es droht ein neuer Gewaltausbruch.
DELHI taz | Heftige Zusammenstöße zwischen maoistischen Rebellen und Sicherheitskräften stehen im ostindischen Bundesstaat Westbengalen unmittelbar bevor. In der Region Lalgarh, nur 120 Kilometer von der Landeshauptstadt Kalkutta entfernt, patrouillieren schwer bewaffnete Maoistenkämpfer durch die Straßen. In den vergangenen Tagen haben sie nach Protesten die gesamte Region unter Kontrolle gebracht. Paramilitärs bereiten sich darauf vor, das besetzte Gebiet zu stürmen.
Gemeinsam mit tausenden von Adivasis, den Ureinwohnern Indiens, haben die Maoisten in den vergangenen Tagen in Lalgarh Polizeistationen und Parteibüros der in Westbengalen regierenden Communist Party of India (Marxists, CPI[M]) verwüstet. Neun Parteikader der Marxisten haben sie entführt, sechs von ihnen sollen sie getötet haben.
Die Konfrontation bahnte sich im vergangenen November an. Damals entging Buddhadeb Bhattacharya, der kommunistische Ministerpräsident Westbengalens, nur knapp einem Anschlag auf seinen Konvoi. Polizisten nahmen daraufhin Dutzende Verdächtige fest. Schnell kamen Gerüchte auf, die Festgenommenen würden gefoltert. Die Proteste nahmen ihren Lauf.
Die Maoisten, die im nahe gelegenen Bundesstaat Jharkhand eine ihrer Hochburgen haben, nutzten die Unruhen. Sie drangen in die Region ein, rekrutierten unter den aufgebrachten Einheimischen zusätzliche Kämpfer und begannen, die Region unter ihre Kontrolle zu bringen. Oppositionsparteien stellten sich auf die Seite der Maoisten und forderten auch ihre Anhänger dazu auf, gegen die Regierung in Kalkutta auf die Straße zu gehen.
Seit Jahrzehnten kommt es in Westbengalen immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Anhängern marxistischer Regierungen und militanten Maoisten. 1967 führte ein regionaler Anführer der damals regierenden CPI(M) einen Aufstand von Bauern in dem Dorf Naxalbari an. Während eines Landstreits sollen Großgrundbesitzer Schlägertrupps gegen Kleinbauern eingesetzt haben. Die Regierung in Kalkutta ging brutal gegen die Aufständischen vor, Zusammenstöße mit Sicherheitskräften forderten etliche Opfer.
Daraufhin spalteten sich die Aufständischen von der CPI(M) ab. Sie schlugen einen radikal-maoistischen Kurs ein und wurden "Naxaliten" genannt, nach dem Ort ihres ersten Aufstandes. Vor allem im armen Osten des Landes fanden die Naxaliten schnell Anhänger.
Heute gibt es im gesamten Ostteil Indiens Naxaliten-Gruppen. Sie sollen Schätzungen zufolge zwischen 15.000 und 20.000 Kämpfer haben und sind in 40 Prozent des Landes aktiv. Zumeist handelt es sich bei ihnen um kleine Untergrund-Gruppen, die Polizisten und Großgrundbesitzer angreifen. In den Bundesstaaten Jharkhand und Chattisgarh jedoch kontrollieren sie ganze Landesteile.
Die nun drohenden Zusammenstöße erinnern an einen ähnlichen Konflikt in Westbengalen 2007. Damals hatten Naxaliten während schwerer Proteste gegen eine geplante Sonderwirtschaftszone die Region Nandigram unter ihre Kontrolle gebracht. Im November 2007 drangen tausende bewaffnete Kader der regierenden Marxisten in das Gebiet ein und machten Jagd auf Naxaliten-Kämpfer und Anhänger eines Aktionsbündnisses, das die Proteste organisiert hatte. Sie töteten vermutlich mehr als hundert Gegner. Die Landesregierung geriet in die Kritik, weil sie das Vorgehen ihrer Parteikader offenbar gebilligt hatte. Vermutlich in den kommenden Tagen dürfte die Fehde zwischen den regierenden Marxisten und den aufständischen Maoisten in eine neue Runde gehen.
Leser*innenkommentare
buckelwal
Gast
Großgrundbesitzer - in einem Staat, der von einer angeblich "kommunistischen - marxistischen" Partei regiert wird ? ? ? ? Die Cartoonfigur Obelix würde wohl sagen: "Die spinnen ...!"
Katev
Gast
Man hätte die Ursachen für die "Fehde" zwischen den Kommunisten ruhig ausführlicher darstellen sollen. Ich finde das alles noch ein wenig undurchsichtig. Der Bericht ist an der Ereignisoberfläche kleben geblieben.