„Man hat starke Kopfschmerzen“

Der Toxikologe Hermann Kruse ist der Ansicht, dass schon geringe Mengen giftiger Stoffe in Infusionsschläuchen oder Kinderspielzeug krank machen. Daher seien umfassende Tests nötig

taz: Herr Kruse, wie viel Gift verträgt der Mensch?

Hermann Kruse: Das kommt auf den Stoff an. Schon kleine Dosen sehr giftiger Stoffe können etwa dazu führen, dass Männer unfruchtbar und Mädchen zu früh geschlechtsreif werden. Sehr bedenklich sind zum Beispiel Stoffe, die den Kunststoff biegsam machen. Weichmacher wie DEHP, die Sie in Infusionsschläuchen oder Kinderspielzeugen finden, wirken wie Hormone.

Wie stark ist die Belastung?

Sie ist schleichend. Die Stoffe gasen zum Beispiel aus dem Bodenbelag im Büro oder aus dem Sofa zu Hause aus. Sie reichern sich in der Umwelt an, wandern in die Nahrungskette. Irgendwann lagern sie sich im Fett, in der Niere und den Knochen des Menschen ab.

Wie krank macht das genau?

Das Immunsystem wird geschwächt, das Nervensystem angegriffen. Eines Tages hat man starke Kopfschmerzen, ist müde oder kann sich nicht konzentrieren. Die Schäden sind langfristig.

Verursacht die Chemie auch Krebs und Allergien?

Die Schadstoffe leisten garantiert ihren Beitrag dazu, dass ein Tumor entsteht oder schneller wächst. Allerdings ist der Zusammenhang – anders als beim Raucher, der Lungenkrebs bekommt – nicht so eindeutig nachweisbar.

Wie müsste ein vernünftiges Chemierecht aussehen?

Für jeden Stoff, der verkauft wird, muss ausgeschlossen werden, dass er Krebs auslöst, dass er Erbgut angreift oder Föten schädigt. Auch allergische Reaktionen müssen getestet werden.

Wie gut ist die EU-Chemiereform?

Wir bekommen ein bisschen Ordnung, weil erstmals alle Substanzen aufgelistet werden. Es gibt also viel Schreibtischarbeit, aber zu wenig wenig Laborinformationen. Das ist der Fehler.

Weil Sie um Ihren Arbeitsplatz fürchten?

Nein, es geht darum, mehr über die Giftigkeit von Chemikalien herauszufinden. Schon kleine Mengen können gefährlich sein. Und Stoffe wirken zusammen anders als allein. Das muss alles untersucht werden.

Mit welchen Tests?

Als Erstes braucht man eine gute Analytik – damit zum Beispiel hochgiftige Stoffverunreinigungen entdeckt werden. Zum Zweiten müssen wir Substanzen an Ratten, Mäusen und Affen testen – über Jahre. Bisher gibt es keine vernünftigen Ersatzmethoden.

Wie wurden bisher die Risiken festgestellt?

Das war immer reiner Zufall – und zumeist war es bei der Entdeckung bereits zu spät. Die Substanzen wurden dann schon im Blut oder im Urin des Menschen gefunden.

Wie können Verbraucher die chemische Mitgift vermeiden?

Der Konsument kann sich nicht schützen. Überall können giftige Stoffe stecken. INTERVIEW: HANNA GERSMANN