Jan Timme Kunstausstellung in Frankfurt: Der Blick in die Box

Jan Timmes Einzelschau im Frankfurter Atelierhaus basis zeigt, wie man hermetischen Minimalismus mit seinen eigenen Mitteln und viel Ironie austrickst.

Zurzeit widmet das frankfurter Kunstatelier basis dem Berliner Künstler Jan Timme eine Einzelschau. Bild: Jan Timme

Das am Frankfurter Hauptbahnhof gelegene Rotlichtmilieu verbindet man naturgemäß mit Drogen, Sexshops, Prostitution und schmierigen Bars. Junge Künstler, Modedesigner und Filmer schreckt das Milieu allerdings nicht. Als 2006 in einer alten Schuhfabrik 35 Ateliers zu einem für die Finanzstadt sehr günstigen Preis von 6,50 Euro pro Quadratmeter angeboten wurden, waren die Studios vermietet, noch bevor die Initiatoren des Projektes Florian Jenett, Felix Ruhöfer und Jakob Sturm das Haus in der Elbestraße 10 bezugsfähig saniert hatten.

Das Atelierhaus basis hat sich so gut entwickelt, dass im Januar 2008 in der nahe gelegenen Gutleutstraße 8-12 eine Dependance eröffnet werden konnte. Zu den 75 Ateliers zählen dort auch 350 qm Ausstellungsfläche.

Mit der hier gezeigten internationalen Gegenwartskunst macht basis mittlerweile sogar dem Frankfurter Kunstverein die Position als experimentelle Plattform streitig. Zurzeit widmet basis dem Berliner Künstler Jan Timme eine Einzelschau. Timme, Jahrgang 1971, hat mit seinen Arbeiten im Atelierhaus ein feinsinniges Netz von kunstgeschichtlichen Verweisen gespannt. Mit seinen Licht- und Neonobjekten, seinen Fotografien, Ready Mades oder einer textbasierten Wandmalerei setzt er den geübten Betrachter auf die Spur bedeutsamer Vordenker wie den Surrealisten André Breton, Marcel Duchamp natürlich, George Bataille oder den Grenzgänger der Minimal Art, Dan Flavin. Er spielt mit Zitaten aus "Lawrence von Arabien" und aus Francis F. Coppolas ebenso populärem Film "The Outsider".

Timme entdeckt seine geistigen Väter in jeder Ausstellung neu, wobei er seine kühle Konzeptkunst mit auffallend filmischen Arrangements verknüpft. Im Treppenaufgang des Kunstvereins Hamburg befestigte er 2002 etwa ein Filmstill aus Hitchcocks "Vertigo". Der Blick von Kim Novak zeigte in Richtung einer oben am Fenster platzierten Uhr - ein Remake von Timmes Abschlussarbeit an der HfbK Hamburg.

Zerrspiel der Reflexe

In seiner Frankfurter Schau nimmt er den Vorführraum der zuvor im Atelierhaus ansässigen Landesbildstelle zum Anlass und geht erstmals über die nur punktuelle Inszenierung hinaus. Sobald sich die Tür des größten Ausstellungsraumes schließt, befindet man sich in der dunklen Kammer eines Kinosaales. Die Sitzreihen fehlen, also beginnt man sich im Raum zu bewegen und taucht in das Zerrspiel aus sich bewegenden Reflexen an den Wänden ein.

Hat sich Timme vom "Lichtraum (Hommage à Fontana)" inspirieren lassen, den die Zero-Künstler Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker 1964 auf der Documenta 3 errichteten? Der schwarze fließende Paillettenstoff, auf den ein Projektionsstrahl fällt, legt zugleich die Assoziation eines kitschigen 80er-Jahre-Disco-Ambientes nah. Die illusionäre Glitzerwelt ist draußen, im Frankfurter Bahnhofsviertel, überall präsent.

Dass Timme die Phänomenologie der Minimal Art und des Kinos in seinen Arbeiten aufgreift und sie mit popkulturellen Codes anreichert, macht ihren sinnlichen Reiz aus. Statt Tulsa im Jahr 1966, statt rivalisierende Banden und blutige Schlägereien zu zeigen, stößt Timme den Zuschauer auf das gerade Erlebte: "When I stepped out into the bright sunlight, from the darkness of the movie house..." So heißt es in Coppolas legendärem Film "The Outsider" von 1983. Dieser erste und zugleich letzte Satz des Filmes leuchtet als Schrift auf dem schwarzen Paillettenstoff auf.

Die eigenen Augen sehen

Kurz darauf steht man im White Cube. Auf Augenhöhe des Betrachters hängt eine quadratische Leuchte, blickt man hinein, scheint sich die Spiegelbox ins Unendliche zu vervielfältigen. Hatte Robert Morris mit seinen vier auf dem Galerieboden aufgestellten Spiegelkuben 1965 noch den Anspruch, den realen Raum zu spiegeln, reproduziert sich Timmes Designerleuchte in der inneren Spiegelfläche und erinnert an das Prinzip der ersten Guckkastenkinos. Beim Blick in die magische Box sieht man plötzlich zwei Augen - die eigenen -, ein surrealer Moment.

Anders als die Vertreter der Minimal Art schließt Timme das Subjekt nicht aus, aber nur wer bereit ist, seinen Standort zu wechseln, vermag die ausgelegten Fährten zu entschlüsseln. So sollte man die Ausstellung ein weiteres Mal besuchen, um etwa festzustellen, dass Scarlett Johanssons blondes Versprechen auf der LOréal-Werbung an der Wand täglich mehr verblasst. Subtile Ironie bewahrt Timmes konzentrierte Denkarbeiten davor, zu hermetischer Materialkunst zu werden.

Bis 8. Juli Nur wer bereit ist, seinen Standort zu wechseln, vermag die ausgelegten Fährten zu entschlüsseln

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