Gewalt in Nordwestchina: Einheitsparolen statt Selbstkritik

Die Unruhen in Ürümqi verdeutlichen das Scheitern der ofiziellen Minderheitenpolitik, doch Vertreter Pekings erklären diese für besonders erfolgreich.

Immer und überall könnte es zu Zusammenstößen kommen: Alter Uigure und Militär-Truppe in Ürümqi. : dpa

An Hauswänden in Ürümqi kleben plötzlich bunte Papierstreifen: "Bewahrt die Einheit und Stabilität, bekämpft den Separatismus!" oder "Das Volk ist uns Vater und Mutter" steht darauf. Seit den schweren Zusammenstößen zwischen Uiguren und Han-Chinesen am vergangenen Sonntag sendet das örtliche Fernsehen Interviews mit Bewohnern Xinjiangs, und alle - vom uigurischen Studenten bis zur han-chinesischen Geschäftsfrau - wiederholen in unterschiedlichen Worten dieselbe Botschaft: "Wir wollen friedlich und sicher miteinander leben, wir sind doch alle Chinesen."

Transparente mit die nationale Gemeinsamkeit und Solidarität beschwörenden Parolen schmücken auch den endlosen Konvoi der bewaffneten Polizei, der am Donnerstagvormittag in Xinjiangs Hauptstadt hineinrollt: Es sind fast dreihundert Fahrzeuge, darunter hundert Lastwagen, auf denen dicht gedrängt Uniformierte mit Helm, Schild und Schusswaffen stehen. Dazwischen Wasserwerfer und Panzerwagen. Die bewaffnete Polizei untersteht der Armee und wurde verstärkt, um die Ruhe durch ihre schiere Masse wiederherzustellen.

Aber sie kann nicht den tiefen Riss zwischen den Bewohnern der Region heilen. Ein uigurischer Mob ist mit großer Grausamkeit auf Han-Chinesen losgegangen. Und die rächten sich dafür ebenfalls grausam. Und wie reagiert die Regierung? Xinjiangs als Hardliner bekannter Parteichef Wang Lequan greift in die Mottenkiste der Propaganda und macht eine Verschwörung im Ausland verantwortlich. Drahtzieher seien die uigurische Exil-Führerin Rebiya Kadeer und ihr Uigurischer Weltkongress, die von bösen Mächten im Westen finanziert würden. Das Ziel: China zu spalten, damit es nicht seinen Platz in der ersten Reihe der Nationen einnehmen kann.

Während auf den Straßen Ürümqis Uiguren und Han-Chinesen entsetzt und zornig, verwirrt und traurig über die Gewalt sind, erklären Funktionäre des Religionsamtes und der Akademie für Sozialwissenschaften: "China ist das Land mit der besten und erfolgreichsten Nationalitätenpolitik." Da ist kein Hauch des Selbstzweifels zu hören, kein Eingeständnis des Scheiterns. Wie schon im Fall Tibets zeigen sich Chinas KP-Führer unfähig, aus ihren Fehlern zu lernen. Sie verkünden, mit aller Härte gegen die Täter vorzugehen, und kündigen Hinrichtungen an.

Xinjiang ist wie Tibet eine gewaltige Landmasse. Religion, Kultur und Sprache der angestammten Bevölkerung unterscheiden sich traditionell stark von jenen der han-chinesischen Mehrheit. Peking ist weiter weg als Kabul oder Karatschi. In einer solchen Situation sind Konflikte zu erwarten wie in jedem anderen Land, in dem ganz unterschiedliche Kulturen aufeinanderstoßen. Das gilt ganz besonders in Zeiten großer wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche: Wie überall in China verließen auch hier in den letzten Jahren Millionen Bauern ihre Felder. Verschlafene Oasen verwandelten sich in Großstädte. Manche Unternehmer und Parteifunktionäre - darunter auch Uiguren - wurden reich durch Öl-, Gas- und Handelsgeschäften. Doch in den Siedlungen am Rand von Ürümqi, wo in den letzten Tagen zahlreiche Menschen umkamen und Häuser in Flammen aufgingen, leben jene, die im Wettlauf um eine bessere Zukunft nicht mithalten können: ehemalige Bauern, die sich nun als Kleinhändler und Tagelöhner verdingen. Viele sprechen kein Chinesisch und sind böse, dass ihnen die Jobs von besser gebildeten Han-Chinesen weggeschnappt werden. "Das ist nicht gerecht!", heißt es immer wieder. "Die sollen härter arbeiten und mehr lernen!", murmeln ihre erfolgreicheren Nachbarn. Doch auch an den Unis klagen Uiguren: "Wenn wir uns irgendwo in China auf eine Stelle bewerben, wird immer der Han-Chinese vorgezogen."

Statt darüber eine offene Debatte zuzulassen, hat die Regierung in den vergangenen Jahren versucht, Xinjiang mit einer Mischung aus wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Härte unter Kontrolle zu halten. Die Folge: Konflikte werden unter den Teppich gekehrt. Das Klima ist dabei immer schärfer geworden: Vor den Olympischen Spielen weigerten sich Pekinger Hotels, ihnen Zimmer zu vermieten, berichten Uiguren, weil sie unter Generalverdacht des Terrorismus standen. Wer die Politik der Behörden kritisiert, wird beschuldigt, "Separatist" oder zumindest undankbar zu sein. Sogar ein Gedicht über das Lebensgefühl der Uiguren brachte einen Schriftsteller ins Gefängnis.

Viele Uiguren werfen Chinas Medien vor, einseitig über die Unruhen zu berichten - und nur über die Gewalt von Uiguren zu schreiben, die Racheakte von Han-Chinesen aber zu verschweigen. Weil niemand den kontrollierten Medien glaubt, blühen die wildesten Gerüchte.

Um dem großen Misstrauen zu begegnen, müssten die Behörden eigentlich alles dafür tun, um die Bevölkerung glaubwürdig zu informieren - zum Beispiel über die Zahl der Opfer unter Han-Chinesen, Uiguren und anderen Ethnien und die Umstände ihres Todes. Verhaftete müssten Anwälte und einen fairen Prozess erhalten. Doch stattdessen klagen uigurische Frauen, sie wüssten nicht, wo ihre verhafteten Männer und Söhne festgehalten werden. Sie fürchten, ihre Angehörigen werden misshandelt oder gar getötet.

So klingt die Beteuerung "Wir sind doch alle Chinesen" in den Ohren vieler Bewohner Ürümqis wie Hohn. "Wenn sie es wirklich meinen würden", sagt eine junge Uigurin, "dann hätten unsere Politiker doch wenigstens einmal gesagt, dass sie um alle Opfer der vergangenen Tage trauern, egal ob Uiguren oder Han-Chinesen, und dass sie mit den Familien fühlen. Aber sie haben nur von Strafe gesprochen."

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