Koch-Mehrins EU-Wahlschlappe: Zu faul, zu blond, zu Frau
Nur knapp ist die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin ins Präsidium des EU-Parlaments gewählt worden. Was der Streit um ihre Anwesenheit im Parlament mit ihrer Weiblichkeit zu tun hat.
Abgestraft. Silvana Koch-Mehrin, blonder Dorn im Auge des EU-Parlaments, ist nur auf den letzten Drücker ins Präsidium der Kammer gewählt worden. Und dies auch nur, weil die Grünen den polnischen Rechtsausleger Michal Tomasz Kaminski verhindern wollten. Die SPD dagegen fand den Homofeind aus der Kaczynski-Partei offenbar akzeptabler als die Vizefraktionschefin der Liberalen. Das attraktive Gesicht der europäischen FDP, vor der EU-Wahl breit plakatiert, ist im eigenen Parlament offenkundig nicht gern gesehen. Nicht mal die Unionsleute, immerhin Wunschkoalitionspartner in Deutschland, unterstützten sie: Man zweifle an ihrer Qualifikation, hieß es.
Eigentlich sind diese Stellvertreterwahlen eine Formalie. Was also hat Silvana Koch-Mehrin angestellt, dass ein Rechtsausleger als wählbarer erscheint als die liberale Finanzpolitikerin? Ist der tatsächlich besser "qualifiziert" als Koch-Mehrin, die ihre Fraktion zuletzt mit glänzenden 11 Prozent ins EU-Parlament (EP) brachte?
Auf eine so wacklige Begründung lässt sich Sozialisten-Chef Martin Schulz nicht ein. Die FDP-Politikerin habe mehr mit Abwesenheit und weniger mit Arbeit im Parlament von sich reden gemacht, meint er stattdessen. Die Präsenzzeiten von Koch-Mehrin waren tatsächlich arg im Gerede: Das hatte die FAZ losgetreten mit der Behauptung, Koch-Mehrin sei nur bei 38,9 Prozent Sitzungen des EP anwesend gewesen. Die Zeitung hatte sich nicht die Mühe gemacht, auszurechnen, ob das Einrechnen zweier Mutterschutzpausen diese Quote nicht doch auf Normalmaß gebracht hätte. Zu verlockend war es offenbar, der "Miss Europa" (FAS), dem "Superweib" (Spiegel) nachzuweisen, sie sitze lieber mediengeil in Talkshows herum oder könne als Mutter ihren politischen Job nicht ordentlich machen: Frauen sind halt zu narzisstisch und zu eitel, um wirklich zu arbeiten. Und Mütter haben einfach anderes im Kopf. Zwei Stereotype mit einer Klappe.
Das EP rechnete den Mutterschutz an und kam auf eine normale Quote von 63 Prozent. Da es oft unproduktiv ist, seine knappe Arbeitszeit im Plenum abzusitzen, können andere auch keine viel höheren Quoten vorweisen. Zum Beispiel Herr Schulz selbst. Er kommt auf 67 Prozent. Das hat er bei seinem Vorwurf sicher nur kurz vergessen.
Auf eine vertrackte Weise ist natürlich auch Koch-Mehrin selbst in diese Spiele verstrickt. So geriet sie etwa mit einer fragwürdigen eidesstattlichen Erklärung, in der sie eine noch höhere Präsenzquote behauptete, in die Defensive. Zum anderen ist ihre Art, ihre Weiblichkeit immer mit zu inszenieren, ein gefährlicher Weg in der Politik, die generell eher Männlichkeit honoriert.
Ganz Medienprofi, nutzt sie die Aufmerksamkeit, die ihr als großer Blondine nur so zufliegt. Sie sendet auf allen Kanälen, die sich dank ihrer Attraktivität zur Verfügung stellen - bis hin zu einer Kolumne in der Busenzeitung Praline. Das muss nicht verkehrt sein: Ja zum Sex, ja zum öffentlichen Babybauch im Stern. Dies könnte durchaus als neue und geradezu subversive Thematisierung der alten Reduktion von Frauen auf ihren Körper gelten. Hier, trotz Sexyness und Mutterschaft haben Frauen etwas zu sagen! Schließlich bemüht Koch-Mehrin sich redlich, die ultraliberale Variante des neufeministischen Alphamädchens zu geben. Schlecht passte zu dieser Art Liberalität allerdings, dass sie sich in der Bunten darüber ausließ, dass Parlamentarier offenbar gute Kunden von Prostituierten in "Straps-Burg" (Bunte) seien. Sicher seien auch Zwangsprostituierte dabei, insinuierte sie, für deren Schicksal die Politkundschaft sich bestimmt nicht interessiere.
Das sind natürlich unbewiesene, männerfeindliche Unterstellungen. Die machen es den männlichen Parlamentariern natürlich leicht, dieser Frau gleich mal einen Denkzettel zu verpassen. Das Motiv dürfte dabei allerdings nicht so sehr sein, dass Koch-Mehrin hier Freier unter kriminellen Verdacht gestellt hat. Der wahrscheinlichere Beweggrund ist, dass sie das Tabuthema Prostitution im Parlament öffentlich erwähnt hat. Eine Frau hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch die reinen Geistwesen, die männlichen Politiker, einen Körper haben. Das gehört bestraft.
Silvana Koch-Mehrin bekommt die Gefahren ihrer neufeministischen Körperpolitik am eigenen Leib zu spüren. Sie selbst möchte sich als ganze Person präsentieren, sozusagen mit Kopf und Bauch. Aber das ist schon mehr weiblicher Körper, als das Publikum vertragen kann: Der Boulevard saugts auf, und der politischen Gegner münzt das in Diffamierung um. Von der sexy Politikerin bleibt am Ende nur das sexy. Ja, das ist sexistisch, denn an der Politikerin und Wirtschaftslobbyistin gibt es eigentlich ganz anderes zu kritisieren.
Weiblichkeit mit zu inszenieren ist ein gefährlicher Weg in der Politik, die eher Männlichkeit honoriert
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