Salzburger Festspiele: Schwebende schwarze Witwe
Sebastian Nüblings "Judith"-Inszenierung nach Vivaldi und Hebbel bringt in den alttestamentarischen Stoff keinen neuen Swing. Die dreistündige Produktion verlor doch zunehmend die Fasson.
Die Übermalungen der biblischen Legende von Judith, die dem assyrischen Feldherr Holofernes zuerst Lust auf einen der schönsten Frauenkörper des Christentums macht, ihn dann aber mit dem zweitkostbarsten Gut der Männer bezahlen lässt, sind Legion. In Salzburg inszenierte den mächtigen alttestamentarischen Stoff Sebastian Nübling, der wie kein anderer die Wucht des Wortes in Körperenergie verwandeln kann. Seine "Judith" hatte draußen in der Hallein-Spielstätte der Festspiele Premiere.
Drinnen im Landestheater las Daniel Kehlmann aus seinem Roman "Ruhm", nachdem er zuvor im Namen seines Vaters und anonymer ausländischer Freunde das deutschsprachige Regietheater gegeißelt hatte. Die Salzburger Nachrichten empfahlen ihm, er solle sich nicht so "aufpudeln".
Gerade Salzburg verdanke dem Regietheater Sternstunden wie Martin Kusejs Inszenierung von "König Ottokars Glück und Ende". Von einem solchen Vertrauen zeugte auch die überaus wohlwollende Annahme von Nüblings "Judith" durch das Publikum, obwohl die dreistündige Produktion doch zunehmend die Fasson verlor.
Nübling stützt sich auf Judith-Bearbeitungen von Antonio Vivaldi und Friedrich Hebbel und besetzte die Rollen mehrfach mit Sängern und Schauspielern. Vivaldi hat seiner "Judith" im Oratorium "Juditha triumphans" betörende Arien gewidmet, während Friedrich Hebbel aus ihr eine jungfräuliche Witwe macht, die, so die Männerfantasie, seit einer nie vollzogenen Brautnacht schon gerne wüsste, was Männer so alles können könnten. Seither hat sie aber auch das Problem, dass einer wie Holofernes genau der Richtige wäre, dann aber doch der Feind ist, den sie zum Wohle des eigenen Volkes um einen Kopf kürzer machen muss. Für heutige Zeitgenossen bietet der Hebbelsche Konflikt die Möglichkeit, aus der alttestamentarischen Geschichte saftiges Schauspiel zu machen.
Sebastian Nübling, so hätte man meinen können, setzt genau darauf. Seltsamerweise kommt es auf der großen Bühne in Hallein aber zu einem puren Nebeneinander all der Quellen, aus denen man sich im Fall der "Judith" bedienen kann. Oben in der Rückwand fährt eine Klappe runter. Dann stehen auf einer eingelassenen Minibühne zwei Sängerinnen und Sänger, die wie ein griechischer Chor rhythmisch eingerichtete Judith-Bibelstellen skandieren. Geht die Klappe wieder hoch, toben aus dem darunter sich öffnenden Tor die Schauspieler Sebastian Kowski, Dino Scandariato, Sebastian Röhrle und Jonas Fürstenau als Holofernes-Rudel, wenn nicht gerade der Countertenor Daniel Gloger wie eine schwebende schwarze Witwe elysisch singt und das Barockorchester vorne ganz bei der Sache ist.
Spannend wird das Patchwork nur, wenn Mezzosopranistin Tatjana Raj als eine der drei Judiths zum ersten Mal im Heerlager der Assyrer auftaucht und mit Vivaldi gegen das Holofernes-Rudel ansingt. Lange hält sie einen hohen Ton, den die Tontechnik in einen Echoraum überführt und der von dort von Tatjana Raj wieder zurückgeholt wird, sobald das zurückweichende Rudel sich erneut nähert. Ansonsten wirkt die Regie von Sebastian Nübling, als sei er nur Arrangeur einer Überfülle von Judith-Material.
Zu arrangieren gibt es tatsächlich einiges. Stephanie Schönfeldt zum Beispiel, eine eher verhaltene Judith. Oder Anne Tismer, die ebenfalls als Judith die Karte "pragmatisches Mädchen" zieht und schnoddrig fragt "Was machn wa denn jetzt", sobald der Kopf des betrunkenen Holofernes dann doch entfernt werden sollte. Als Darstellerin geht diese eigensinnige Schauspielerin in Ordnung. Im Fall der Texte, die sie beisteuert und in denen sie von der Prostituierten bis hin zur prekären Ressource "Wasser" alles und nichts thematisiert, fragt man sich dann aber doch, was die Regie mit dieser Judith gewollt haben könnte.
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