Tierschützer protestieren: Brunch mit den Besetzern
In Hannover kämpft eine ungewöhnliche Konstellation gegen ein neues Labor für Tierimpfstoffe. Denn das läge in der Nähe eines Krankenhauses und einer Kita.
Eine Geländebesetzung durch radikale Tierschützer, Demos, zwei Farbanschläge auf das Haus des Oberbürgermeisters, kreisende Polizeihubschrauber, Staatsschützerauftritte und eine Bürgerinitiative, die sich aus den besseren Kreisen der Stadt rekrutiert: Das ist nicht gerade das, was Boehringer-Chef Ulrich Pitkamin vor zwei Jahren "öffentliche Akzeptanz für die Forschung" nannte.
Damals offenbarte er seine Pläne, in Hannover ein "europäisches Zentrum" für Tierimpfstoffe aufzubauen. Flankiert von der phrasenwerfenden Trias Christian Wulff, Ministerpräsident in Niedersachsen, OB Stephan Weil und Dr. Gerhard Greif, Präsident der Tierärztlichen Hochschule.
Wulff begrüßte "eine weitere Facette des Forschungslandes Niedersachsen", Weil lobte das Projekt "als wichtigen Baustein für die Positionierung Hannovers als Wissenschaftsstadt", Greif war einfach stolz, dass die Tiho "ein interessanter Partner für ein international erfolgreiches Unternehmen wie Boehringer Ingelheim ist".
Seitdem hat sich die Stimmung aber deutlich verschlechtert. Die 40-Millionen-Euro-Investition entpuppte sich als höchst konfliktträchtig. Auf dem 2,6 Hektar großen Grundstück an der Bemeroder Straße wird Boehringer ab 2011 tausend Schweine mit unbekannten, genveränderten Krankheitserregern traktieren.
In unmittelbarer Nähe liegen ein Therapiezentrum für autistische Kinder, ein soziales Wohnprojekt, ein Krankenhaus und ein Altersheim. Befürchtungen, die Mikroben könnten das Labor verlassen, versuchte Boehringer zu zerstreuen. Die Anlage sei "hermetisch abgeriegelt".
Das mochten aber die Anwohner nicht mehr so recht glauben, als sie den Konzern bei anderen Flunkereien ertappten. Anfangs hieß es, die Versuche beschränkten sich auf die Gefahrenklasse 2, was bedeutet, dass die behandelten Mikroorganismen für Menschen unbedenklich sind. Dann musste Boehringer einräumen, man plane auch Experimente der Gefahrenklasse 3, die immerhin ein "mäßiges Risiko" für Mensch und Umwelt darstellt.
Ein weiteres Problem sind die tonnenweise anfallenden Tierkadaver. Boehringer wollte sie in hochalkalischer Lauge zersetzen, um den Sud dann einfach in die Kanalisation zu kippen. Die Stadtentwässerung legte daraufhin ihr Veto ein.
Den Politikern war das alles egal. Bis auf die Linke und die Kleingartenpartei "Wir für Hannover" erklärten alle Fraktionen früh, sie werden das Tierversuchslabor durch den Rat winken. Das wiederum brachte die Anrainer im Stadtteil Kirchrode auf die Palme.
Hier wohnt der besserverdienende Teil der Hannoveraner. Gemeinhin nicht gerade ein Menschenschlag, der Bürgerinitiativen gründet. Aber im März 2008 war es so weit. 7.000 der 10.000 Kirchröder stimmten mittlerweile per Unterschrift gegen den Tierversuchsbunker.
Seit einigen Wochen haben sie Verstärkung von 30 Tierschützern erhalten, die das Gelände enterten. Irgendwann muss geräumt werden, aber Boehringer übt sich bisher in kluger Zurückhaltung. Denn die bunthaarige Jugendgruppe ist bei den Anwohnern gut gelitten, man trifft sich zum gemeinsamen Brunch.
Dass es die Besetzer waren, die in zwei nächtlichen Malereiaktionen das am Eigenheim von OB Weil mit Parolen wie "Tiermörder" versahen, glaubt man hier nicht. Polizei und Staatsschutz sind da anderer Meinung. Sie durchsuchten das Besetzercamp mit großem Aufgebot, förderten aber nur einen alten Farbeimer zutage.
Leser*innenkommentare
Elfriede
Gast
Schnell ist die Fassade wieder weiß:
.. Boehringer, OB Ar…..schlächter!
Es gab einen Farbanschlag auf das Haus von Herrn Weil.
Ich persönlich mag diese Schmierereien überhaupt nicht. Ich heiße es nicht gut, wenn jemand anderer Eigentum nicht achtet. Aber diesem Schmierfinken könnte ich verzeihen, denn wahrscheinlich fühlt er sich auch missachtet durch die Politik in unserer Stadt, sozusagen enteignet.
Wahrscheinlich hat er Mitleid mit den echten Schweinen, die hier in Hannover misshandelt werden sollen.
Erschreckend finde ich, dass man in diesem Fall - weil man den Vorwurf eines politisch motivierten Anschlags bemüht - wild campierende junge Naturschützer und Tierrechtler unter Generalverdacht stellt. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist nicht gegeben. Wie viele Hausbesitzer haben sich schon über Schmierereien geärgert, und wann ist dann die Polizei mit dieser Präsenz ausgerückt?
Viel zu teuer, viel zu aufwendig. In diesem Fall spielt Geld keine Rolle, oder doch?
Deike, Pattensen
Kai (Amsterdam)
Gast
Danke für das Bericht, ich wüsste noch nicht davon.
Anja
Gast
Ein bisschen schadenfroh bin ich doch, dass in diesem Fall auch die Besserverdienenden, die in der Vergangenheit nicht selten ihre Nasen über die "jugendlichen Weltverbesserer" und "Spinner" gerümpft haben, betroffen sind. Die persönliche Betroffenheit kann so manche Aktivität nach sich ziehen, was ja nicht verkehrt ist. In diesem Fall scheinen Arm und Reich an einem Strang zu ziehen.
Mir war bisher die Dimension dieser Anlage nicht bewusst. Neben den Tierversuchen und der damit einhergehenden Leiden der Tiere, kommt noch das Problem der Entsorgung (die Tierkadaver werden in alkalischer Lauge aufgelöst, zersetzt und der Sud wird in die Kanalisation gekippt). Welche Folgen hat das für die Anwohner? Und wenn Mikroben doch entweichen?
Neben möglichen gesundheitlichen Folgen (das Argument, dass alles für die menschliche Gesundheit unbedenklich ist, kennen wir bereits, und sollten es kritisch unter die Lupe nehmen), kommt noch das Problem der Grundstücksentwertung.
Es klingt vielleicht banal, aber jemand, der sein Leben lang gespart hat, um sich ein Haus zu bauen, und der sich wegen möglicher Folgen für seine Gesundheit, oder aus anderen Gründen, dazu entschliesst, sein Haus zu verkaufen, erhält nur einen Bruchteil dessen, was er investiert hat. Falls er überhaupt einen Interessenten findet. Aber wen interessieren Einzelschicksale, wenn es um die "Interessen der Allgemeinheit" geht?
Antonietta
Gast
Die Zahl der Tiere, die zu Versuchen verwendet werden, steigt jährlich an. Dass man von den aus Tierversuchen gewonnenen Ergebnissen nicht auf die Wirkung beim Menschen schließen kann, ist inzwischen bekannt.
Nadine Schomburg
Gast
Danke Ivo für die Richtigstellung! Ich hoffe, dass viele Menschen diesen Beitrag lesen und weiter, bzw. neu protestieren!
Denn je mehr Protest (geht auch per Postkarte, brief, Mail, evtl. Telefon) sich regt, desto geringer werden die Chancen, dass dieses "Labor" ... gebaut wird.
Also liebe Leute, schreibt, mailt, telefoniert bis die Finger qualmen! Sagt Eure Meinung, fordert die Einführung der Demokratie (Herrschaft des Volkes)! Denn wie viel Prozent der Bevölkerung würden diese Tierquälerei befürworten???
urs
Gast
Risiko für die Bevölkerung - Gewinn für Boehringer
Es geht nicht um 1000 Schweine, sondern nun sind im
Bebauungsplan maximal 6.600 Schweine zulässig.
Diese Menge soll mehrmals im Jahr nach Gebrauch getötet
und in Ätzlauge aufgelöst werden. Damit könnte man eine
Kleinstadt von ca. 50.000 Einwohnern versorgen.
Solche mörderischen Versuchstechniken sind bei der Konkurrenz
abgeschafft worden; diese macht nun auch das große
Geschäft mit der sog. Schweinegrippe. Schlechtes timing für
Boehringer- die Pandemie kam zu früh.
Die vorgesehenen Abluftfilter lassen aus den verseuchten Ställen
Viren und genveränderte Krankheitserreger durch, wie ein
Maschendraht Kartoffeln durchläßt.Die sind auch billiger als
Laborfilter.
Das übliche Sicherheitsgutachten wird von der Stadt verweigert
- kein Wunder.Boehringer will an "Atemwegserkrankungen der Schweine"
forschen - und Impfstoffe für die Massentierhaltung herstellen-
also auch Influenza-Viren ( H1N1/A u.Ä. ) verwenden. Bei Infektionen der
Anwohner zahlt die Krankenkasse. Boehringer hat noch schnell vorher
eine GmbH & Co KG für den Betrieb gegründet, die mit 25.000 Euro
Betriebskapital haftet - da kann doch nichts mehr passieren.
Für Boehringer in jedem Fall ein Geschäft, auch wenn nicht gebaut
werden kann; die Stadt Hannover erlaubte in einem "vertraulichen"
Vertrag den Weiterverkauf des Geländes mit Gewinn und übernimmt
auch noch die Erschließungskosten
Erhard Schreiber (Meine Stimme für Tiere)
Gast
Stephan Weil – bei der geplanten Ansiedlung des Tierversuchslabors ganz vorne mit dabei – beschwert sich über lächerlichen Schaden an seinem Haus, verharmlost aber permanent seine unethische Bereitschaft, unzählige Schweine und Rinder für sinnlose und qualvolle Tierversuche zu opfern. Zwischen leicht übermalbaren Pinseleien und dem Ermöglichen grausamster Leiden besteht keinerlei Verhältnis – jegliches Mitleid mit Weil ist daher fehl am Platz. Wer sagt denn, dass nicht ein Agent provocateur am Werk war?
Man muss fragen, weshalb in dieser Gesellschaft geringfügige so genannte Sachbeschädigungen von Seiten der Staatsmacht so intensiv verfolgt werden, in der selben Gesellschaft aber gleich nebenan hunderte, tausende, sogar Millionen Tiere für niedere Zwecke getötet werden können, alles mit der Absegnung von „oben“. Friedvolle Tierrechtler werden wie Schwerstkriminelle behandelt und Unternehmen wie Boehringer, die für zahlreiche Verbrechen verantwortlich gemacht werden können, und Personen wie Stephan Weil, die solchen Unternehmen die Tür öffnen, bleiben straffrei und verdienen noch daran.
Medienwirksame Razzien mit über 40 Einsatzkräften, mit Polizeihubschrauber und Zivilfahndern zeigen, dass der Staat versucht, den gesamten Protest gegen Boehringer zu kriminalisieren, dadurch dessen Glaubwürdigkeit zu zerstören und die Ansiedlung des Tierversuchslabors notfalls mit Gewalt durchzusetzen.
Diese Vorgehensweise können wir nicht befürworten.
http://www.meine-stimme-fuer-tiere.de
Ivo
Gast
Ich wünschte, die taz würde ein Mal richtig recherchieren, wenn es um Tierausbeutung geht. Das Gelände ist nicht von Tierschützern besetzt, sondern von Tierrechtlern (Tierschützer akzeptieren die Ausbeutung der Tiere und wollen nur die Folgen schmälern - Tierrechtler nicht). Auf deren Motivation wird in dem Artikel überhaupt nicht eingegangen, obwohl die Besetzung der Aufhänger ist. Wie auf dem Blog der BesetzerInnen zu lesen ist...
http://boehringerbesetzung.blogsport.de/besetzung/
Es geht um die Tiere im Labor:
"Das Leben der Tiere wird nach den Versuchen, sprich nach wenigen Monaten, gewaltsam beendet ..."
Und auch gegen den Zweck des Versuchslabors, nämlich Massentierhaltung:
"diese Impfstoffe sind vorwiegend dort nötig, wo unhygienische Verhältnisse herrschen und sich Krankheiten schnell ausbreiten können, das heißt in diesem Zusammenhang: in der industriellen Massentierhaltung. Hier werden mehrere tausend bis zehntausend Tiere auf engstem Raum eingesperrt, so dass das normale Verhalten von Tieren – wie Orientierung in der Gruppe und Beziehung zu den anderen Tieren – gestört wird. Dies führt zu schweren psychischen und physischen Schäden, was sich zum Beispiel im gegenseitigen Ohr- und Schwanzabbeißen zeigt."
Zudem wird durch die Aktion das speziesistische Prinzip der Tierverwertung abgelehnt:
"wir erkennen sie [die Tiere] als eigenständige und fühlende Lebewesen an und lehnen ihren Status in dieser Gesellschaft, in der sie als Versuchsobjekte und ihre toten Körper als Nahrungsmittel benutzt werden, ab!"