Kolumne Abstrakte Malerei: Trost finden in der Kunst

Ich habe mir einen neuen Kosmos erschlossen: die abstrakte Malerei. Mit der wurde ich in diesem Sommer in der Kunsthalle Emden erstmals erfolgreich konfrontiert.

Liebe Altergenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Natürlich ist die Kunst auch und gerade beim Älterwerden fester Bestandteil unseres Lebens. (Über-) Lebenskünstler sind wir von My Generation - Hope I die before get old! - schließlich alle.

Die um die Abteilung Klassik erweiterte Musik ist sicher weiter die uns adäquateste Kunstform. Denn nichts versetzt unsere Beine und dann den Blutkreislauf weiter so sehr in Schwung wie etwa der straighte Beat vom Boss in Radio Nowhere oder der elektrisierende Rhythmus in Sympathie for the devil von den Stones. Und mein Kardiologe bietet noch dazu Koronarsport nach Klangmotiven aus Carmina Burana von Carl Orff an.

Auch dem Theater und dem Kino sind wir treu geblieben. Für den ehemaligen Filmstudenten Jim Morrison (Doors) war das Filmemachen die totalitärste aller Künste; und der Zuschauer ist ein sterbendes Tier. Und die Literatur bleibt unser Lebenselixier bis zum Ende, auch wenn unser Lichtenberg (1742-1799) den deutschen Autoren von England aus vorwarf, die Nasen immer etwas zu hoch zu tragen. Dabei sei ihre Kunst doch nicht wichtiger als die eines Mannes, der zu Birmingham Kaffeehaustische lackiert.

Für uns aber bleibt es wichtig und richtig (gerade bei eventueller Immobilität im fortgeschrittenen Alter), sich mit einem Buch auf Abenteuerreise zu begeben und neue Welten jenseits der uns von Tchibo täglich offerierten zu entdecken, auch um uns zum Trost nicht ganz am Schluss doch noch einen Hund kaufen zu müssen.

Ich jedenfalls habe jetzt damit angefangen, mir noch einen (Kunst-)Kosmos zu erschließen: Die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts nämlich, mit der ich in diesem Sommer in der Kunsthalle Emden erstmals konfrontiert war. Fast einen ganzen Tag haben wir - meine schon längst der bildenden Kunst mit all ihren Facetten zugewandte Frau und ich - in den riesigen Hallen mit der Sammlung Henri Nannen und der Schenkung Otto van de Loo verbracht. Ein Schlüsselerlebnis. Denn ich glaube jetzt (auch) die Tröstung zu kennen, die von wahren Kunstwerken - gerade auch von den in unserer apokalyptischen Epoche entstandenen - ausgeht (Günther Franke, Münchener Galerist und Kunsthändler).

Die Tröstung - das ist der (für mich) neue Glaube an die göttliche Schaffenskraft des Homo sapiens: After a certain age every artist works with angels (Marianne Faithfull). Und gerade in der Abstraktion wird der Schöpfungsakt erst manifest. So wie auf dem gigantischen Meisterwerk Sur Nature des belgischen Avantgardisten Pierre Alechinsky von der Gruppe CoBrA. Darauf zu sehen ist ein mit Tusche auf Papier gezeichneter Sockel mit einem Comicstrip und darüber eine üppige Acrylmalerei in Gelb- und Orangetönen auf schwarzem Grund. Nie zuvor gesehene Wesen stehen sich da in - mutmaßlich - kämpferischer Pose gegenüber.

Lange haben wir fasziniert vor diesem Bild gesessen; und noch am Abend bei friesischem Deichlamm und einem Spätburgunder aus der Pfalz in der Alten Schmiede zu Dornumersiel - das einzige gute Restaurant zwischen Norden und Wilhelmshaven - weiter angeregt darüber diskutiert. Ein Bild nur - und gleich so viel Gesprächsstoff. Die nächste Galerie und das Alter können kommen; wir freuen uns darauf.

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