„Die Schulen dürfen nicht zu kurz kommen“

ZUKUNFT Die neue Ministerin sollte nicht nur die Wissenschaft im Blick haben, sagt die grüne Bildungspolitikerin Sylvia Löhrmann

■ ist seit 2010 Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen. Sie ist Vizeministerpräsidentin im rot-grünen Kabinett von Hannelore Kraft (SPD). 1957 in Essen geboren, arbeitete Löhrmann ab 1984 als Lehrerin für Englisch und Deutsch in Solingen und trat 1985 den Grünen bei.

taz: Frau Löhrmann, was haben Sie gedacht, als Sie von Annette Schavans Rücktritt hörten?

Sylvia Löhrmann: Der Rücktritt war unausweichlich. Man hat gemerkt, dass Annette Schavan sehr klar war in ihrer Entscheidung. Alles andere hätte mich bei ihr auch überrascht.

Haben Medien und Opposition nicht etwas übertrieben mit ihrem Betroffenheitsgefühl?

Von Betroffenheit würde ich nicht sprechen. Bei aller notwendigen Kritik ist die Opposition sehr fair und respektvoll mit Annette Schavan umgegangen. Ich finde es übrigens legitim, dass sie gegen den Titelentzug klagt. Nur Ministerin konnte sie so unmöglich bleiben.

Annette Schavan ist das zweite Mitglied des Kabinetts, das durch Plagiatsjäger im Internet zu Fall gebracht wurde. Macht Ihnen diese Denunziationskultur Angst?

Nein. Und ich würde nicht von einer Jagd sprechen. Politiker müssen damit leben, dass man bei ihnen genauer hinsieht.

Der Wissenschaftsbetrieb hat sich im Fall Schavan uneinheitlich gezeigt. Müssen Lehren daraus gezogen werden?

Das würde ich mir wünschen. Die Universitäten, die in jüngster Zeit wegen Plagiatsprüfungen in der Öffentlichkeit standen, sollten sich zusammensetzen und einen Kriterienkatalog erarbeiten. Der Vorschlag sollte aber aus der Wissenschaft und nicht aus der Politik kommen.

Was wird Johanna Wanka anders machen als Schavan?

Johanna Wanka ist zwar eine Fachpolitikerin, aber sie war anders als Annette Schavan nie Schulministerin. Ich befürchte, dass sie noch stärker als ihre Vorgängerin die Wissenschaft im Blick hat und nicht erkennt, dass wir uns um den gesamten Bildungsbereich kümmern müssen. Und zwar gemeinsam: Bund, Länder und Kommunen. Es kann nicht nur um Exzellenz und Forschungsförderung gehen, es muss auch um das Fundament von Bildung gehen. Die Schulen dürfen nicht zu kurz kommen.

Auch Schavan war nicht gerade für ihre Schulpolitik berühmt.

Aber sie hat auf Drängen meiner Kollegen und mir zuletzt immerhin zugestanden, dass es etwa beim gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung oder beim Ganztagsausbau eine sozialpolitische Mitverantwortung des Bundes gibt. Es ist doch absurd, dass der Bund beim Bildungs- und Teilhabepaket private Nachhilfe fördert, aber die Schulen direkt nicht unterstützen darf. Da muss etwas passieren, und das wissen alle. Wir waren uns nur noch nicht einig, wie.

Annette Schavan wollte die Verfassung ändern, um besonders herausragende Hochschulen künftig durch den Bund fördern zu können. Sie und andere rot-grüne Länder wollten auch Bundesgeld für die Schulen. Daran sind die Gespräche geplatzt. Wie stehen die Chancen, dass das sogenannte Kooperationsverbot doch noch kippt?

Die Chancen stehen schlecht. Wir haben konkrete Arbeitsprozesse verabredet, und ich hoffe, dass Johanna Wanka sich daran gebunden fühlt. Vor der Bundestagswahl wird es aber leider wohl keine Entscheidung geben.

INTERVIEW: BERND KRAMER