Ausrangierte Dinge: 1.000 Dinge brauchen Liebe

Der "Park für unerwünschte Skulpturen" ist eine Außenstelle der Künstlerkolonie Springhornhof in der Lüneburger Heide. Dort werden Kunstobjekte und Dinge gelagert, die ihre Besitzer nicht mehr wollten.

Leipziger Bogenlampen, in neuer Heimaterde. : Marion Gülzow

Als wir uns nach dem Weg zum Springhornhof erkundigen, wirkt die Tankstellenpächterin etwas irritiert. "Wo die Bilder un son Gedöns sammln?" Genau. "Achsooouuu. Links bis zur Ampel hin, dann nomma links, hinter Hotel Brüneman, der lütte Weech, da rein un immer gee-raa-dee-aus."

Im Arno-Schmidt-County zwischen Celle, Uelzen und Rotenburg (Wümme), wo die Imbisse "Grillboutique" und die Käffer Drögenbostel heißen, kennt man die zart bis wuchtig anmutenden Fremdkörper, die hier in gehobener Stückzahl in der Gemarkung stehen. Sie sind das Vermächtnis von Ruth und Wilm Falazik, die es Mitte der 60er Jahre aus Bochum in den Norden verschlug. Das Galeristenpaar kaufte den Springhornhof im Dorf Neuenhausen, entkernte die Nutzbauten und richtete Ausstellungsräume ein.

Fünf Minuten später parken wir vor liebevoll restaurierter Heidjer Bauerngotik: der Springhornhof. Unter mächtigen Eichen dräuen Haupthaus, Scheune, ein paar Nebengebäude, strohgedeckt und aus solidem Holz. An Kunst erinnert auf den ersten Blick nur die Sammlung Ausstellungsplakate an der Scheunenwand. Aber da vorne auf der Wiese neben den Kühen: sechs Findlinge, "Gegen-Steine", die Bildhauer Hawoli 1982 zwischen das schwarz gefleckte Rindvieh platziert hat. "Sie schirmen die sich dahinter öffnende Landschaft gegen eine Eisenwalze ab - ein offenes Kräftemessen zwischen Natur und Technik." So steht es in der Gebrauchsanweisung.

Die Steine sind Teil des einzigartigen und mittlerweile weltberühmten Projekts "Kunst-Landschaft". Die internationale Künstlerschar, die sich auf dem Springhornhof versammelte, drängte es hinaus ins Freie, Weite, wo sie zwischen Wiesen, Findlingen und romantischen Hainen "landschaftsbezogen" und "mit vorgefundenen Materialien" zu Werke gingen.

Doch deswegen sind wir nicht hier, wir wollen weiter, zum "Park der unerwünschte Skulpturen" ins Nachbarörtchen Tewel, einer Außenstelle des Springhornhofes. Punkt elf fahren wir mit den bereitstehenden Fahrrädern los, dreißig Kunst-Afficionados, und zuckeln durch einen wundersam surrealen Parcour aus baumgesprenkelter Gegend und postmodernen Installationsobjekten. Sie manifestieren sich am Wegesrand als gerüstartige "Raumknoten" (Rudolf Wachter), als "tätowierte Eichen" (Silke Schatz) oder "Innerer Kreis, der äußeren Linie folgend", den Christiane Möbus in einen Findling gemeißelt hat. Wir umfahren "sieben Ansichten von einer Wiese mit (bronzenem) Pflaumenbaum" (Anna Gudjóndóttir), turmartig gestapelte "Holzkristalle" (Tony Cragg) und "Hörsteine" (Ulrich Eller), aus deren Rissen es schauerlich ächzt und schrillt. Und wir bestaunen Valerij Bugrovs kreisrunde Spiegelfläche "Himmel und Erde", die für jeden, der hineinschaut, die Grenzen zwischen oben und unten, Schwerkraft und Schwerelosigkeit zerfließen lässt.

Nach einer Stunde kommt Tewel in Sicht. Der Tross quert die Hauptstraße und stoppt vor einem weiß umzäunten Rasenareal, das uns sagt: Radler, du bist am Ziel. Über der Pforte blinkt die Inschrift in der Mittagssonne: "Park für unerwünschte Skulpturen". Drinnen wartet schon Bettina von Dziembowski, die seit dem Tod der Falaziks den zum Kunstverein geadelten Springhornhof leitet. Das moderne Kunstwerk werde ja nicht nur oft verkannt, sagt Frau Dziembowski, sondern ist, wie wir alle, den Stürmen des Lebens ausgesetzt.

Dann referiert sie ergreifende Skulpturenschicksale. Gustav Reinhads rohrartige Stahlarbeit ohne Titel, angekauft für das Foyer einer Sparkasse, musste Umbauplänen weichen, den "Neptun-Bunker", ein beeindruckend düsterer Metallturm von Uwe Schloen, hatte sich der Auftraggeber wohl etwas anders vorgestellt, Ulla Nentwigs "Steinernem Herz", das eigentlich aus Gips besteht, drohte die Entsorgung nach Ausstellungsende, ebenso wie dem Beet aus Silberpapierwimpeln, das Ludmilla Schalthoff "Lichtblicke" getauft hat.

Heute kommt noch eine Skulptur hinzu: Die Künstlerin Marion Gülzow wird ihr Lampen-Ensemble einlagern. Früher bestrahlten diese, Produkte der VEB Leuchtenbau Leipzig, mit gesenktem Kopf den gesamten Ostblock, bis sie nach der Wende ausgebrannt, zerbeult oder ihrer Birnen beraubt auf dem Schrottplatz landeten. Mit einer dieser Bogenlampen, genauer gesagt deren entkerntem Aluminium-Gehäuse, reiste Gülzow zum Ausstellungsort - und erlebte das niedersächsische Flachland als Abenteuer. Kaum hatte sie mit ihrer Lampe in Hannover den Regionalzug bestiegen, verwandelte sich das Ding kraft Schaffnerwort in einen Aschenbecher ("Junge Frau, hier is dat Rauchen verbodn"). In Soltau staunte der Busfahrer: "Ne Dame, der ihrn Suppentoppp spazierenführt, hätt ich oog noch nicht heppt". Die Erklärung, das sei kein Suppentopf, sondern Teil eines Kunstobjektes, nahm er grienend zur Kenntnis.

Man sollte vielleicht erwähnen, dass die ovalen Stücke Altmetall aussehen wie Jack Finneys unheimliche Aliens ("Die Körperfresser kommen"). Nun stehen die Leipziger Lampen stolz und aufrecht da. Aus der Welt gefallen. Und doch am richtigen Platz.

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