Vorgezogene Neuwahlen in Israel

Die Arbeitspartei will unter ihrem neuen Chef Amir Peretz mit einer sozialer Agenda zurück an die Macht. Noch-Regierungschef Scharon muss sich entscheiden, ob er noch einmal für den Likud antritt. Die Parteienlandschaft könnte aufgemischt werden

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

In Israel wird es im Februar oder März vorgezogene Neuwahlen geben. Das haben Premierminister Ariel Scharon (Likud) und Amir Peretz, der neue Chef der Arbeitspartei, gestern entschieden. Die Bevölkerung hat dann die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Prioritäten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Arbeitspartei gibt es einen Spitzenkandidaten, der nicht das Thema Frieden und Sicherheit auf seinen Wahlplakaten propagiert, sondern soziale Gerechtigkeit. Peretz will die Mindestlöhne anheben, während der noch amtierende Regierungschef seinen Posten dadurch zu halten versucht, dass er an den Abzug aus dem Gaza-Streifen erinnert.

Eine direkte Konfrontation mit gleicher Agenda, aber unterschiedlichen Vorzeichen wäre allerdings denkbar, wenn Scharon den Likud verlässt und damit die konservative Partei nahezu sicher an Benjamin Netanjahu vererbt. „Peretz“, so schreibt der Wirtschaftsreporter Sever Plotzker in der auflagenstärksten Tageszeitung Jediot Achronot, sei das „Alter ego“ Netanjahus. Während Netanjahu „rechte Wirtschaftspolitik mit rechter Friedenspolitik verknüpft“, verknüpfe Peretz „linke Wirtschaftspolitik mit linker Friedenspolitik“.

Beides macht nach Ansicht des linken Historikers Dani Gutwein von der Universität Haifa Sinn. Die Besatzung des Westjordanlands mit den Siedlungen ersetzt, so der Historiker, für die verarmten Bevölkerungsschichten, meist Likud-Wähler, den Wohlfahrtsstaat. „Jenseits der grünen Grenze (Waffenstillstandslinie) gibt es Sozialwohnungen, preiswerte Erziehung und Arbeitsplätze.“ Wer die sozial schwachen Schichten von Ende der Besatzung überzeugen will, müsse Alternativen innerhalb Israels anbieten. Dazu sei einzig eine „sozialdemokratische Partei“ in der Lage. Genau das schwebt Peretz vor.

Fraglich bleibt, ob drei Monate ausreichen werden, um die Wählermehrheit von der veränderten Agenda der Partei mit ihrem neuen Chef zu überzeugen. Derzeit hält die Arbeitspartei 20 Sitze, halb so viele wie der Likud. Dazu kommt, dass Scharon mit dem Abzug aus dem Gaza-Streifen noch immer auf einer Popularitätswelle schwimmt.

Scharon muss am Wochenende über seine Parteizugehörigkeit entscheiden. Bleibt er im Likud, läuft er Gefahr, Zweiter zu werden, obschon ihm Umfragen eine Mehrheit vor seinen parteiinternen Widersachern geben. Möglich wäre, dass er sich für eine neue Liste entscheidet. Das ihn unterstützende Likud-Lager würde dann vermutlich mit der liberalen und antireligiösen Schinui zusammengehen, die bei den vergangenen Parlamentswahlen immerhin 15 Mandate für sich entscheiden konnte. Möglich ist auch, dass sich Teile der Arbeitspartei von Peretz lösen, um zusammen mit Scharon weitere Rückzüge aus dem Westjordanland voranzutreiben. Die Logik einer solchen Allianz wäre für sie die traurige Erkenntnis, dass nur eine Rechtspartei eine Mehrheit erreichen kann, wenn es um Zugeständnisse an die Palästinenser geht.