Gorleben droht Endlager

Die CDU wird die SPD in Sachen Atommüllentsorgung so lange drängen, bis diese auf Unionskurs schwenken könnte

VON NICK REIMER

Für das Wendland ist dieser Koalitionsvertrag eine Katastrophe: Die Wahrscheinlichkeit, dass Gorleben doch zum Endlager ausgebaut wird, ist nämlich gestiegen. „Wir beabsichtigen, in dieser Legislatur zu einer Lösung zu kommen“, heißt es lapidar auf Zeile 2.036. Zehn Zeilen davor steht: Hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie gibt es einen Dissens. Weiter: Die im Atomgesetz getroffenen Regelungen werden nicht geändert.

Die SPD-Umweltpolitiker haben sich also in der Frage der Restlaufzeiten durchgesetzt. „Erst mal“, wie Marco Bühlow, Sprecher für Erneuerbare Energien der SPD-Bundestagsfraktion, sagt. Klar sei, dass die CDU das Thema Restlaufzeiten die ganze Legislatur über immer wieder auf die Agenda setzen wird. „Und da ist dann die Frage, ob die große Koalition das durchhalten kann“, fügt Bülow hinzu, der wie der gesamte Umweltflügel der SPD immer wieder klar gemacht hatte, den Koalitionsvertrag nur mit dem bestehenden Restlaufzeiten akzeptieren zu können.

„Wir konzentrieren uns auf Gorleben“, erklärt Peter Paziorek, umweltpolitischer Sprecher der Union. Der Erkundungsstopp für den Salzstock müsse aufgehoben werden, „und zwar jetzt.“ Auch die unionsgeführte Landesregierung Niedersachsens will im Salzstock Gorleben hoch strahlenden Atommüll endlagern – und obendrein weniger gefährlichen Atommüll im Schacht Konrad in Salzgitter. „Erst für den Fall, dass sich der Standort Gorleben entgegen allen bisherigen Untersuchungsergebnisse als ungeeignet erweisen sollte, ist ein neues Standortauswahlverfahren refinanzierbar und durchsetzbar“, heißt es in einem CDU-Positionspapier.

„Man kann die Frage des Atomendlagers getrennt von den Laufzeiten diskutieren“, erklärte gestern Marco Bühlow. Bliebe es bei den verabredeten Laufzeiten, sei auch die Restmenge atomarer Müll kalkulierbar. Bühlow: „Gorleben als Endlager infrage zu stellen, war ja vor allem politisches Ziel der Grünen.“ Im Atomkonsens von 2000 heißt es: Die Erkundung des Salzstocks in Gorleben wird bis zur Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen für längstens zehn Jahre unterbrochen.

Bundesumweltminister Jürgen Trittin hatte einen Arbeitskreis Endlager ins Leben gerufen – den so genannten AK-End – der ein gerechtes Verfahren zur Suche eines nationalen Endlagers finden sollte. 2002 stellte der AK End seinen Abschlussbericht vor, auf dessen Grundlage Trittin einen Gesetzentwurf erarbeitete. Grüne Parteikreise haben immer wieder bestätigt: Die SPD wollte nicht, dass Trittin den Gesetzentwurf vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen ins Kabinett einbringt. Trittin tat dies dennoch. Demnach sollte ein Verband ins Leben gerufen werden, der eine „unvoreingenommene, deutschlandweite Suche organisiert“, so der Umweltminister. „Alle Unternehmen, die in Deutschland Atomkraftwerke betreiben oder betrieben haben, sollen Pflichtmitglieder werden.“ Und die Suche natürlich finanzieren: Kosten zwischen 500 und 700 Millionen Euro seien veranschlagt. „Immerhin: Die Antiatombewegung wird sich anhand dieses Gesetzentwurfes munitionieren können“, sagt Michael Schroeren, scheidender Sprecher des Bundesumweltministeriums.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hatte vor Wochenfrist einen Abschlussbericht zur atomaren Endlagerung vorgelegt. Quintessenz: Salz, Ton, Granit – keines der möglichen Wirtsgesteine in Deutschland solle generell den anderen vorgezogen werden. „Ein bestmöglicher Endlagerstandort ist nur auf Grundlage eines Standortvergleiches zu ermitteln“, heißt es im Bericht.

Den aber wird es nicht geben, wenn sich die CDU mit Gorleben durchsetzt. Über 1,5 Milliarden Euro sind bereits im Salzstock verbaut. „Wir haben mit der CDU verabredet, das Verfahren zur Endlagersuche auf den Weg zu bringen“, erklärt der taz Ulrich Kelber, der als künftiger umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Gespräch ist. „Wer glaubt, ohne alternative Untersuchungen Gorleben für die sicherste Variante zu erklären, unterschätzt, wie brisant das Thema in der Bevölkerung diskutiert wird.“