Abschiebung: "Solche Leute brauchen wir"

In der niedersächsischen Gemeinde Dannenberg hält man die Ausweisung einer türkischstämmigen Familie für absurd. Die fünfköpfige Familie sei ein Musterbeispiel der Integration, findet der Bürgermeister.

Da waren es fünf weniger: Die vorbildlich integrierte türkische Familie Centinkaya soll abgeschoben werden. Bild: Montage: dpa

Rifat und Sükrüye Centinkaya aus Dannenberg sind Musterbeispiele gelungener Integration. Das junge Ehepaar lebt seit zwei Jahrzehnten in Deutschland. Er verdient sein Geld als Geschäftsführer einer florierenden Imbissstube, der Nachwuchs, zwei Mädchen und ein Junge, die alle hier geboren sind, besuchen die Kita. Man spricht gut deutsch, ist im Wendlandstädchen bekannt wie beliebt und unterstützt andere Migranten. Nach dem Willen von Innen- und Integrationsminister Uwe Schünemann hat das Idyll bald ein Ende. Seine Ausländerbehörde, der Landkreis Lüchow-Dannenberg, hat die Centinkayas aufgefordert, die BRD bis zum 30. September freiwillig zu verlassen, andernfalls droht ihnen die Abschiebung.

Er sei nicht vorbestraft, er arbeite, "ich bin integriert", sagt Rifat Centinkaya und versteht die Welt nicht mehr. Peter Selber auch nicht. Selber ist Dannenbergs Bürgermeister und Christdemokrat wie Schünemann. Für ihn gehört der Fall in eine Reihe "merkwürdiger Entscheidungen" der Innenbehörden. Sie betreffen in erster Linie die zahlreichen Roma im Landkreis, die Schünemann gegen den Rat der Kirchen und des UNO-Flüchtlingsrates in den unsicheren Kosovo abschieben will. Der Fall der türkischstämmigen Familie Centinkaya hat ihn allerdings "besonders erschüttert". "Das kann nicht angehen. Gerade solche Leute wie die Centinkayas brauchen wir, damit in Dannenberg die Integration gelingt."

Vor einer Woche, sah es auch noch so aus, als ob dem Glück der Familie nichts im Wege steht. Rifat Cetinkaya hatte eine Aufenthaltserlaubnis nach der 2007 von Bund und Ländern formulierten Bleiberechtsregelung beantragt. Sie sichert allen Migranten mit Duldungsstatus eine legales Bleiberecht zu, sofern sie bis Ende 2009 nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbstständig bestreiten. Das tut die Familie. Trotzdem mahnte der Landkreis die Ausreise an. Man vergaß man auch nicht, darauf hinweisen, dass eine Klage möglich, aber sinnlos sei. Um Missverständnissen vorzubeugen, war ein Formular anbei, auf dem die Bundespolizei den Grenzübertritt zu protokollieren hat.

Das Vorgehen zeigt wieder einmal, mit welcher maliziöser Akribie Niedersachsens Amtsschimmel Migranten durch die Behördenmühle dreht. Rafit Centinkaya wurde in Hamburg geboren. Als er drei war, wies man die Familie aus. Zwölf Jahre später kehrte er mit Mutter und Geschwistern wieder zurück. Seitdem besitzt er den Status eines geduldeten Ausländers. Er gründete eine Familie und lebte fortan so, wie Ministerpräsident Christian Wulff den vorbildlichen Migranten sehen möchte. "Integration ist dann verwirklicht, wenn jeder, der zu uns gekommen ist, aus Überzeugung sagen kann: ,Ich lebe in Niedersachsen, das ist mein Land, hier bin ich zu Hause.'" Die Praxis entlarvt Wulffs Psalmodie als zynisches Lippenbekenntnis. Man müsse Centinkaya das Bleiberecht verweigern, heißt es in der Begründung des Landkreises, weil er schon einmal abgeschoben wurde. Dabei sei "es unerheblich, ob Sie zum Zeitpunkt der Abschiebung minderjährig waren." Das mag formaljuristisch betrachtet richtig sein, für Bürgermeister Selber hat diese Argumentation "mit Ausländerrecht nichts mehr zu tun. Hier sollen Kinder für die Vergehen ihrer Eltern büßen." Ähnliches gilt für Frau Sükrüye Centinkaya, der man außerdem vorwirft, sie beziehe "Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz".

Ein Vorwurf, der an den Haaren herbeigezogen ist, weiß Stephan Wichert von Holten, Propst von Lüchow. Der Kirchenmann kennt die Familie seit langem. "Sie haben immer auf eigenen Füßen gestanden." Während die Dannenberger Unterschriften sammeln, damit die Centinkayas bleiben können, hat von Holten einen Antrag an die Härtefallkommission gestellt. "Ich glaube, sie haben gute Chancen, noch ein Bleiberecht zu erhalten."

Bürgermeister Selber appellierte letzte Woche an Parteifreund Schünemann. Der versprach die Prüfung des Falles. Auf das Ergebnis wartet Selber immer noch. Auf Nachfrage der taz sagte Innensprecher Klaus Engemann, der Brief sei unterwegs. Inhalt: Der Integrationsminister habe am Beschluss des Landkreises nichts auszusetzen.

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