Prognose Studienanfänger: Angst vor der Uni

Die Rekordmeldungen über 400.000 Studienanfänger kaschieren, dass immer weniger Abiturienten zur Uni wollen. Das liegt auch an den Studiengebühren.

Auch ein Thema beim Bildungsstreik: Die Studiengebühren. Bild: ap

Zum Start des neuen Wintersemesters am morgigen 1. Oktober werden so viele Studienanfänger wie noch nie in Deutschland erwartet: Zwischen 390.000 und 400.000 schwanken die Prognosen. Doch die Rekordmeldungen über den Studienanfängerboom kaschieren, dass zugleich immer mehr junge Menschen auf ein Studium verzichten - vor allem junge Frauen und Abiturienten aus einfachen Verhältnissen.

Seit fünf Jahren zeichnet sich die Unlust am Studium als Trend ab: 2008 verließen fast 20 Prozent mehr junge Menschen ihre Schule mit Abitur oder Fachhochschulreife als noch 2003. Tatsächlich stieg aber die Zahl der Studienanfänger im gleichen Zeitraum nur um 2,4 Prozent.

Die Gründe für den Studienverzicht sind vielfältig. Bei regelmäßigen Befragungen nennen Abiturienten unsichere Berufsperspektiven, aber auch Unklarheit über die eigene Studienfinanzierung. Abiturienten aus ärmeren und bildungsfernen Elternhäusern verzichten weitaus häufiger als Gleichaltrige aus Akademikerfamilien. Auch bleiben weitaus mehr junge Frauen als junge Männer der Uni fern.

Noch nie waren Informationsdefizite, Orientierungsprobleme und Unsicherheiten über den Sinn und Wert einer akademischen Ausbildung unter den Abiturienten so verbreitet wie heute, konstatierte eine Autorengruppe für den Bildungsbericht von Bund und Ländern. Verwiesen wird dabei auch auf die Probleme bei der Umstellung der neuen Bachelor-Studiengänge. Während Abiturienten und ihre Eltern oder Ratgeber sich früher auf Erfahrungswerte aus den alten Studienstrukturen verlassen konnten, gelten die Berufsperspektiven der Bachelor-Absolventen noch als unklar.

Zudem hat sich unter den Abiturienten längst auch herumgesprochen, dass das Bachelor-Studium mit seiner Stofffülle, Präsenzpflicht und den straffen Zeitvorgaben kaum noch Zeit für Jobben nebenher lässt. Die massive Kritik der Studenten beim "Bildungsstreik" im Sommer an den neuen Bachelor-Studiengängen wollen die Kultusminister aufgreifen. Bei ihrem Treffen Mitte Oktober soll die Korrektur von Fehlentwicklungen eingeleitet werden.

Von den Abiturienten des Jahrgangs 2008 gaben 27 Prozent an, auf ein Studium verzichten zu wollen. Seit 2003 haben die Kultusminister dreimal ihre Anfängerprognose nach unten revidiert. Zwar scheint nach ersten Meldungen aus den Schulen der Abwärtstrend 2009 gebremst. Eine wirkliche Umkehr aus der Talsohle ist aber noch nicht in Sicht. In den 80er-Jahren und auch noch Anfang der 90er-Jahre galten Studierquoten zwischen 80 und 90 Prozent als Normalfall. Heute rechnen die Kultusminister allenfalls noch mit einer Quote von 75 Prozent.

Es klingt in der Tat gigantisch, wenn die Kultusminister in ihrer Prognose für 2013 rund 425.000 Studienanfänger erwarten - bei 493.000 neuen Studienberechtigten. Dann verlässt auch im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen ein doppelter Abiturientenjahrgang die Schulen. Doch sind danach die Effekte aus der Schulzeitverkürzung verpufft, werden Studienanfänger bundesweit zur raren Ware.

Der Bildungsforscher Klaus Klemm rechnet mit Blick auf die dann folgenden geburtenschwachen Jahrgänge vor, dass bei der politisch angestrebten Studierquote von 40 Prozent eines Jahrgangs etwa ab Mitte des nächsten Jahrzehnts rund 70.000 Studienplätze mangels Bewerbern nicht mehr zu besetzen seien - Plätze, die Bund und Länder mit dem Hochschulpakt gerade für viel Geld aufbauen.

Dabei sind die Arbeitsmarktperspektiven für Akademiker trotz Wirtschaftskrise nicht schlecht. Heute bereits fehlen Lehrer, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mediziner. Allein in den nächsten fünf Jahren scheiden in Deutschland 330.000 Akademiker aus Altersgründen aus.

KARL-HEINZ REITH (dpa)

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