Achim Mentzel über Selbstironie: "Ich bin auch eine Speckbulette"
In der DDR war er ein bekannter Sänger, nach der Wende hatte er seine Hitparade beim MDR. Achim Mentzel über seine Republikflucht, Kalkofe-Parodien und acht Kinder von fünf Frauen.
taz: Herr Mentzel, wenn man Sie heute im MDR schunkeln sieht, kann man gar nicht glauben, dass es in der DDR rund um Ihre Auftritte zu Ausschreitungen gekommen sein soll.
Achim Mentzel: So war das damals. Wir vom Diana Show Quartett hatten keine Autos, also begleitete uns immer ein großer Tross durch Berlin, wenn wir einen Auftritt hatten. Ich musste meine Gitarre nie selbst tragen. Und wenn wir in Weißensee oder sonst wo in Berlin ein Konzert gaben, standen da halt unsere Jungs, die "Lichtenberger Harlekins", wie sie später der Eulenspiegel nannte, und die aus den anderen Bezirken. Traute sich einer, ein Mädel der andern anzusprechen, gings sofort los. Dann wurden noch Polizeiautos umgeschmissen, oder eine Straßenbahn wurde verwüstet.
Gab es gerichtliche Nachspiele?
Klar, und bei denen kam immer raus, dass die Jugend der DDR in Ordnung ist und nur die Musik sie so verrückt gemacht hat.
Das sahen auch viele Westdeutsche so. Spätestens als Stones-Fans 1965 in Berlin die Waldbühne zerlegten. Im Osten zogen "Beat-Demos" durch Leipzig, und Ulbricht wollte Schluss machen mit der Monotonie des "Yeah, Yeah, Yeah".
Das Interview ist der sonntaz vom 2./3./4. Oktober 2009 entnommen. Jeden Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
1965 bekamen wir auch Spielverbot. Ich war erst 19. Wir wurden zunächst im Eulenspiegel verrissen, waren sogar auf dem Titelblatt! Der Artikel war der Anfang von unserem Ende. Wir bekamen dann Auftrittsverbot für das Gebiet der DDR, wichen kurzzeitig nach Leipzig aus, weil die Beamten dort uns nicht kannten, aber das war dann auch bald vorbei. Die Clubs, in denen wir auftreten sollten, waren plötzlich geschlossen. Wir haben noch ein bisschen randaliert, und das wars.
Bald darauf spielten Sie schon wieder - trotz Spielverbot.
Na ja, in der Armee, die hat das nicht interessiert. Dabei hatte ich mich gar nicht fürs Musikkorps gemeldet. Ich sollte im Panzer die Kanonen ins Rohr schieben. Arbeit für Bekloppte.
Als Sie aus der Armee entlassen wurden, war das Spielverbot wieder in Kraft.
Ja, ich hab erst mal im Betrieb meines Schwiegervaters gearbeitet. Ich hatte zwischendurch geheiratet, ihr Vater hatte eine Polsterei - den Beruf hatte ich ursprünglich gelernt -, und wer heiratete, bekam fünf Tage Sonderurlaub.
Wie sind Sie dann zur Musik zurückgekommen?
Manfred Lindenberg stand in der Tür und bot mir einen Job in seiner Band an. Der Lindenberg hat eine Bürgschaft für mich übernommen, musste dann aber bald ins Gefängnis, weil er mit allem möglichen Zeug aus dem Westen geschachert hatte.
Sie spielten weiter und nutzten 1973 einen Auftritt in Westberlin zur Flucht. Wie war das?
Ich spielte im Orchester Alfons Wonneberg, und die durften auch im Westen auftreten. Ein Kinderfest der DDR-Reichsbahn, die ja auch durch Westberlin fuhr, hab ich genutzt und bin da geblieben.
Ihr Grund war weniger politisch, oder?
Überhaupt nicht politisch. Meine zweite Frau, mit der ich auch ein Kind hatte, hatte mich drei Tage zuvor mit einer anderen im Bett erwischt. Und ich war nie der Typ, der so was noch kitten wollte. Das klappt eh nicht.
Eine spontane Entscheidung?
Ja. Als unser Schlagzeuger beim Aufbau der Instrumente aus den Trommeln sein Hab und Gut rausholte und sagte: "Ich bleib hier", kam von mir ein "Das mach ich auch". Ich dachte, jetzt komm ich und zeig denen da drüben mal, wo die Kuh fliegt.
Lief aber nicht so gut, oder?
Nein. Ich war auf dem Arbeitsamt und sagte, dass ich Sänger sei, Gitarre spiele, einen losmachen will. Der Beamte meinte nur: "Gaukler und Fallensteller haben wir genug." Der Satz hat mich völlig fertiggemacht.
Und dann?
Ich bekam einen Job als Schweißer, obwohl ich nie zuvor geschweißt hatte. Mann, habe ich viele Löcher in Auspuffe geschweißt. "Bist du ein Idiot", dachte ich.
Kurze Zeit später traten Sie den Rückweg in die DDR an.
Es kamen Briefe von meiner Frau und meinem Kind, "Alles ist vergeben", "Papa ist der Beste" und so. Ich fühlte mich einsam, wollte zurück.
Sie mussten doch mit einer Strafe wegen Republikflucht rechnen.
Ich hatte vorher bei meiner Frau angerufen und sie gebeten, mal beim Staatsanwalt nachzufragen, was mir droht, wenn ich zurückkäme. Der Staatsanwalt sagte nur, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Das war das Signal für mich.
Nach zwei Tagen Gefängnis und einer Bewährungsstrafe spielten Sie Mitte der 70er-Jahre zusammen mit Nina Hagen in Fritzens Dampferband.
Genau. Kennengelernt hatte ich Nina schon bald nach meiner Rückkehr bei einer Probe - und wir haben schnell gemerkt, dass wir die gleiche Meise haben. Später haben wir dann zu zweit gespielt, aber keinen Rock, sondern Schlager, die lustigen. Denn die Rocker mussten alle ihre Texte vorlegen und dann wären alle Lieder so geworden wie die im "Oktoberklub" …
… der Jugendsendung im DDR-Fernsehen …
… so grässliches Arschleckertum.
Ihre Popularität wuchs. Sie moderierten 1988 "Ein Kessel Buntes" - ein Ritterschlag?
Ja. Aber zuvor musste ich den Schein machen, mit dem ich auch als Solist auftreten durfte. Allein hatte ich dann die zwei Hits "Gott sei Dank ist sie schlank" und "Außerdem macht es Spaß".
Kurz vor der Wende bekamen Sie mit "Achims Hitparade" eine eigene Sendung, die der MDR 1992 nahtlos übernahm.
Wir haben nicht einmal ausgesetzt, liefen 17 Jahre ununterbrochen. Mein Rekord steht noch.
Warum lief "Achims Hitparade" 2006 aus?
Erstens weil viele Künstler nur kommen wollten, wenn wir ihnen den ersten Platz garantierten. Das haben wir nicht gemacht, also mussten wir Musiker aus der zweiten und dritten Reihe nehmen. Zweitens lief Jauchs "Wer wird Millionär?" gegen uns. Da konnten wir nicht gegen an. Und drittens fehlte die Anerkennung im Sender. Die hatten uns nach der Wende abgehalfterte Wessis vorgesetzt. Der Reiter …
… Sie meinen den MDR-Intendanten Udo Reiter …
… hat mir trotz meiner vielen Jahre und der hohen Quote nie gedankt, nie ein Händedruck, nie ein "Achim, haste gut gemacht". So sind sie. Die wollten mich schon in den 90ern absetzen.
Ab Mitte der 90er mussten Sie den Spott von Fernsehsatiriker Oliver Kalkofe über sich ergehen lassen.
"Im Osten gibt es einen Moderator, der ist eine Mischung aus Tony Marshall und einem überfahrenen Hamster. Wenn Sie ihn sehen, rufen Sie den Hundefänger." Das war 1996 der Spruch von Kalki …
… und Sie haben darüber gelacht.
Ich schon, aber meine Frau saß wie versteinert auf der Couch. Ich sagte nur: "Gitti, das ist die beste Reklame, die ich bekommen kann."
Der dicke Klaus von "Klaus und Klaus" hat Kalkofe verklagt.
Ja, weil Kalkofe ihn "Speckbulette" genannt hat. Klaus wollte der König von Oldenburg sein. Der Schöne. Ich nie. Ich bin auch eine Speckbulette - na und?!
Sie spielten in Kalkofes "Wixxer"-Filmen mit, es gab T-Shirts mit Ihrem Konterfei und "Fernsehen macht schön" zu kaufen.
Ich hatte unfassbares Glück, dass Kalki mich verarscht hat. Ich hätte ihn auch verklagen können, aber was hat der Vergleich dem Klaus genützt? Nichts.
Woher kommt all Ihr Glück?
Ich weiß es nicht. Vielleicht meine Aura. Jeden Morgen vor dem Spiegel denke ich: "Alter, hast du ein Glück." Auch zu meinen geschiedenen Frauen habe ich heute noch guten Kontakt. Jetzt bin ich mit meiner vierten Frau seit 30 Jahren verheiratet. Ich habe lange gesucht, aber auch dabei am Ende wieder Glück gehabt.
Mit einem Lebenslauf wie Ihrem landet man doch nicht beim MDR. Wie passen Sie auf die Schiffe und in die Hallen, in denen jeder auf den dritten Takt klatscht?
Ich habe immer das gemacht, was mir selbst Freude bringt. Das kann man den Leuten vermitteln. Da bin ich mir sicher.
Wollten Sie nie etwas Ernsthaftes machen?
Nein. Ich muss nicht der Große, der Schöne, der Bewunderte sein. Ich will der Spaßmacher sein. Ich hab ja den "Pisatest" in der ARD gewonnen. Bewiesen, dass ich klug bin, hab ich also. Und den Stones muss ich auch nichts mehr beweisen. Ich habe acht Kinder von fünf Frauen. Damit hab ich die alle überholt.
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