Durch Frankfurt schlendern: Was Adorno zur Messe sagt

“Das Gesamte ist heuchlerisch”, sagte Adorno über Hegel. Und in diesem Sinne sind die lärmenden Berichte der deutschen Medien über die Buchmesse ok.

Spricht auch zu chinesischen Intellektuellen: Theodor Adorno auf einem undatierten Foto. Bild: dpa

Bei der „Nacht der chinesischen Literatur“ im Frankfurter Literaturhaus kamen viele berühmte chinesische Schriftsteller zu Gespräch und Vortrag zusammen. Der Schriftsteller Liu Zhenyun berichtete von seinem Unglück am Düsseldorfer Flughafen. Ein Dieb hatte ihm Geldbörse und Pass entwendet. Da konnte er nur noch auf die Hilfe seiner Freunde hoffen. Michael Kahn-Ackermann, Leiter des Goethe-Instituts in Peking, tröstete Liu Zhenyun, man habe ihn während einer Aufführung im Nationaltheater in Peking auch einmal ausgeplündert.

Unerwartetes kommt immer in unerwarteter Form. Der chinesische Ehrengast und die Buchmessenleitung sind harsch von den deutschen Medien kritisiert worden. Doch lässt man sich nichts anmerken. Es ist wichtig, optimistisch nach vorn zu blicken.

60 Jahre!

Immer noch im Literaturhaus, nahm ich mir ein bisschen Zeit für die kleine Ausstellung im ersten Stock über die deutsche Gegenwartsliteratur. Ich sah so vertraute Namen wie Thomas Mann und Bertolt Brecht. Ich bemerkte, dass die deutschen Schriftsteller während des Dritten Reiches unterschiedliche Wege gegangen sind. Einige mussten ins Ausland fliehen, andere wählten den inneren Rückzug, andere wieder unterstützten die Nazis. Wer Politikern nahe steht, sagt mir nicht allzu sehr zu, besonders wenn es sich dabei um die Machthaber handelt.

Zu meiner Freude entdeckte ich ein altes Foto der ersten Frankfurter Buchmesse vom September 1949. Sie fand im Dunkel der Frankfurter Paulskirche statt. Damals hatte China gerade den Widerstand gegen die Japaner und den Bürgerkrieg hinter sich, ein neuer Staat war im Entstehen.

Ein grüner Baum

Am Morgen schweifte ich in der Frankfurter Altstadt ein wenig umher. Die Fassaden des alten Wohnsitzes von Goethe und der Herberge, in der Heine einst weilte, sind nicht mehr erhalten – es heißt, die Bombardements der Alliierten haben 80 Prozent der Gebäude zerstört. Ich wurde auf die Römerhallen aufmerksam.

Dieser Platz hat eigentlich nichts Besonderes, aber die großen Bäume an den sternförmig abgehenden kleinen, langen Straßen waren wunderschön. Ich denke: In den Ruinen des Jahres 1944 waren es diese grünen Bäume, die den Überlebenden dieser Gräuel Hoffnung gaben.

Ich vermisse Peking

Gibt es etwas, was noch großartiger als die Frankfurter Buchmesse ist? Die Olympischen Spiele, die im letzten Jahr stattgefunden haben! Ich habe im Museum für Moderne Kunst eine Video-Installation von Sarah Morris mit dem Titel “Die olympischen Spiele in Peking 2008” gesehen. In dieser verbindet sie Szenen von der Eröffnungsfeier der Spiele mit Szenen aus dem Leben der einfachen Bevölkerung in Peking.

Mit schöner Musik untermalt erschienen auf der großen Leinwand die mir vertraute Pekinger Architektur und ihre Menschen. Plötzlich entstand in mir ein Gefühl von Heimweh. Gute Kunstwerke sind wie Romane, sie lassen mich gleichzeitig Schmerz und Vertrautheit empfinden und sie bewegen mich sehr.

Respektbekundung gegenüber den kleinen Verlagen

Die großen Verlage machen auf der Buchmesse die besten Geschäfte. Aber man findet auch einige kleine Verlage, wie zum Beispiel den aus Bad Nauheim von Christoph Kopp. Er und seine Frau haben im letzten Jahr den Verlag „Morgenröte-Frisch Auf!“ gegründet. Sie haben zwei, drei Bücher herausgebracht, offensichtlich ihre eigenen Gedichte und Theaterstücke – Entschuldigung, ich verstehe leider kein Deutsch. Egal was sie für Bücher herausbringen, wer im Zeitalter des Internet Bücher publiziert, die er mag, der verdient Respekt.

Gut, schlecht, nicht gut, nicht schlecht

“Das Gesamte ist heuchlerisch” – solche Zweifel äußerte Adorno gegenüber der Philosophie von Hegel. Damit kann man alle scheinbar großen Dinge kommentieren, wie zum Beispiel die Buchmesse, Political correctness, China undsoweiter. Deshalb mag ich die lärmenden Berichte der deutschen Medien über die Buchmesse; es ereignen sich gute, schlechte, weder gute noch schlechte Sachen. So ist eben diese chaotische Welt.

Aus dem Chinesischen von Jost Wübbeke und Kristin Kupfer.

ZHOU WENHAN; geb. 1978, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt vor allem für Chinas bekannteste Wochenzeitung The Economic Observer und Phönix Weekly. Bis 2008 war er als Kulturjournalist bei der Neuen Pekinger Zeitung tätig.

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