ES MUSS NICHT IMMER GROSSES KINO SEIN. AUCH KITSCHTANTENFERNSEHEN MACHT SICH PRIMA ALS OFF-BERLINALE-PROGRAMM
: Das Schicksal von Lady Sybil

VON ULI HANNEMANN

Dunkelheit, Kälte, Vitaminmangel, Depressionen sowie Vollbartträger mit Säuglingsmützen. Und als wenn im Winter nicht ohnehin schon alles schlimm genug wäre, stürzt einen die fünfte Folge der dritten Staffel der britischen Adelsserie „Downton Abbey“ endgültig in ein tiefes Tal aus Tränen und Leid.

Das ist Kitschtantenfernsehen at its best and worst. Um es knallhart und kurz zu machen: Lady Sybil stirbt. Nein, nicht der böse Kammerdiener Thomas, nicht Assad oder Depardieu, für die ich eigens Tanzen gelernt hätte, um auf ihren Gräbern zu schwofen, sondern ausgerechnet die warmherzige und wunderschöne Lady Sybil. Sie stirbt einfach so weg, ich kann es nicht fassen. Gott muss völlig neben sich gestanden sein, als er Stalin das Buch für diese Folge schreiben ließ.

Arme Lady Sybil! Erst schwanger und dann kommt das Kind und du denkst noch, alles wird gut und der eine Arzt ist aber voll scheiße und setzt sich gegen den guten Arzt (Allgemeinmediziner) durch und auf einmal hüpfen alle schreiend und weinend ums Bett rum, Lady Sybil krampft wie ein Goldfisch, der aus dem Glas gefallen ist, der Chauffeur hält ihre Hand und schreit (ich versuch das jetzt mal phonetisch:) „Mi Luw! Mi Luw!“ Hilft aber nix, denn, zack, noch ein letzter Schnapper und Lady Sybil ist mausetot.

Alle weinen. Wir weinen auch auf unserem Sofa und halten uns fest umklammert. Es ist so furchtbar. Wenn Lady Sybil nicht mehr lebt, will ich auch nicht mehr leben. Das ist zumindest mein erstes Gefühl in diesem Moment, weil was bleibt denn nun noch? Ein leeres graues Schloss in einem leeren grauen Fernseher in einem leeren grauen Leben. Erst jetzt fällt mir auf, dass die verschissene Sonne sich schon seit Wochen nicht mehr blicken ließ.

Meine Freundin ist ebenfalls untröstlich. Das rechne ich ihr hoch an, denn immerhin weiß sie, dass ich Lady Sybil von den Ladys echt mit Abstand am schönsten finde. Beziehungsweise fand. Seit Monaten hört sie von mir nur noch „Lady Sybil hier, Lady Sybil da, Lady Sybil hat gesagt …“ Da könnte sie im Grunde froh sein, dass sie diese lästige Konkurrentin los ist. „Endlich ist das Flittchen futsch“, könnte sie triumphieren, doch sie schluckt ihre Eifersucht herunter, weil auch sie spürt, dass es hier um Größeres geht und man da persönliche Befindlichkeiten einfach mal hintanstellen muss.

Auch einen Tag später hat sich noch nichts an diesem schrecklichen Gefühl geändert. Ganz im Gegenteil. Nach einer verständlicherweise schlaflosen Nacht fühle ich mich nach wie vor wie tot. Wie Lady Sybil. Es ist alles so sinnlos. Warum nur ist das passiert, warum haben die das gemacht? Ist sie zu populär geworden, hat sie sich bei der Gagenforderung für die vierte Staffel verpokert? Ich weiß es nicht, ich weiß nur: Ich wäre jetzt gern bei ihr. Im Himmel. Wie zum Hohn scheint an diesem Morgen zum ersten Mal wieder die Sonne. Das könnte sie sich wirklich sparen, sie wärmt ja ohnehin nicht.

Eigentlich müsste ich dringend arbeiten, doch ich kann nicht. Mein Kopf ist leer, mir ist, als wären mit Lady Sybil auch alle Buchstaben in mir gestorben. Von A bis Z. Erschwerend kommen meine Vorsätze hinzu, in Zukunft weniger mit Nazivergleichen, selbstmitleidigen Attitüden und unqualifizierten persönlichen Angriffen zu arbeiten. Aber was bleibt da noch? Damit habe ich mir doch künstlerisch mein eigenes Grab geschaufelt. Dort lege ich mich nun hinein, zusammen mit Lady Sybil.