Der heilige Intrigantenstadl

VATIKAN Entlang undurchsichtiger Frontlinien bekämpfen sich die Kardinäle mit harten Bandagen – bis hin zum Raunen über Mordanschläge

ROM taz | Sind es nun die Vatikan-„Diplomaten“, die gegen kurienfremde „Eindringlinge“ an der Kirchenspitze kämpfen? Oder liefern sich die Seilschaften der Salesianer da einen verbissenen Dauerkrieg mit den Opus-Dei-Leuten? Benedikt XVI. hat die Kündigung eingereicht, nach Meinung eigentlich aller „Vaticanisti“ in Rom, weil er sich den Manövern, Intrigen, Verschwörungen in der Kurie nicht mehr gewachsen fühlte.

Im Nebel bleiben jedoch die genauen Frontlinien. Zwar mühen sich italienische Zeitungen, die Kardinäle nach Konservativen, Progressiven und einer „neuen Mitte“ zu ordnen – doch deutlich wird immer wieder, dass die Skandale der letzten Monate sich im Wesentlichen um Macht und Geld drehen. Immer wieder im Mittelpunkt: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, mal als Opfer, mal als Täter.

Als Opfer stand Bertone bei der Vatileaks-Affäre im Mittelpunkt. Deren Hintermänner wollten wohl vor allem zeigen, dass Bertone die Kurie nicht im Griff hat, dass unter ihm das Unerhörte möglich war: die öffentliche Darstellung des Vatikans als Intrigenstadl. Kurienkardinäle, die sich am „Eindringling“ Bertone rächten?

Doch Bertone kam auch als Täter zum Zug, vorneweg im heftigen Zusammenstoß um die Führung der seit Jahrzehnten von Skandalen überschatteten Vatikanbank IOR. Bertoni hatte im letzten Mai dem IOR-Chef Ettore Gotti Tedeschi den Stuhl vor die Tür gesetzt, mit einer brutalen Offenheit, die man bis dato aus dem Vatikan nicht kannte: Im Abschieds-Kommuniqué wird Gotti Tedeschi „manifeste Unfähigkeit“ bescheinigt. Der Salesianer Bertone, der mit Gotti-Tedeschi einen Opus-Dei-Mann abschoss, um einen Zweikampf

zwischen zwei auch ökonomisch mächtigen Seilschaften für sich zu entscheiden? Sicher ist nur, dass bald auch der Papst selbst in die Auseinandersetzungen hineingezogen wurde.

So machte vor akkurat einem Jahr, am 10. Februar 2012, die italienische Tageszeitung Il fatto quotidiano mit der sensationellen Enthüllung auf, Ratzinger sei ein Dossier zugegangen, das von der Chinareise des Erzbischofs von Palermo, Paolo Romeo, berichtet. Romeo habe unterwegs erzählt, der Papst habe noch zwölf Monate im Amt – dann werde er womöglich gewalttätig beiseitegeräumt. Und einen gewaltsamen Tod befürchtete auch der frühere IOR-Boss Gotti Tedeschi – ganz so, als sei die Kurie zu den Traditionen der Renaissance-Päpste zurückgekehrt.

Auch die Vatileaks-Affäre traf unmittelbar das Umfeld Benedikts XVI. Sein Kammerdiener Pasolo Gabriele kopierte Tausende Akten seines Schriftverkehrs; die Auftraggeber blieben im Dunkeln. Der Prozess endete mit der äußerst milden Strafe von 18 Monaten, fast umgehend erfolgte die Begnadigung durch den Heiligen Vater. Keine Lust, so scheint es, hatten er und seine Kardinäle an öffentlicher Aufklärung.

Ratzingers Rücktritt wird nun in Rom als Versuch des Bruchs interpretiert: Mit seinem Abgang werden auch alle Positionen in der Kurie hinfällig; der Nachfolger könnte, wenn er denn wollte, einen radikalen Neuanfang starten. MICHAEL BRAUN