Interview: "Auch in China liebt man Nippes"

Kitsch gab es schon immer, er entspringt der menschlichen Sehnsucht nach Überladenem, sagt Werkbundarchiv-Museumschefin Renate Flagmeier - und warnt vor Hochmut

Geliebt bis nach China: unser Kitschsymbol par excellence : ap

taz: Frau Flagmeier, spätestens zur Adventszeit rüsten die Deutschen kitschmäßig auf: Hängende Weihnachtsmänner an Balkonen, Gartenzwerge mit Nikolausmützen, und ein Gang über den Weihnachtsmarkt gibt den ultimativen Kitsch-Kick. Woher kommt diese Sehnsucht nach Geschmacklosem?

Renate Flagmeier: Diese Sehnsucht ist ja nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert, in der Gründerzeit, wollten die Menschen es innen in der Gesamtausstattung gern überladen und barock. Vielleicht wollte man sich so von der bedrohlich herannahenden modernen, industriell formierten Außenwelt abgrenzen. Heute wäre ich mit einer Bewertung vorsichtig. Letztlich gestaltet sich doch jeder die Wohnung so, wie er möchte. Mancher erträgt eben Leere, und andere haben es lieber nach außen abgeschottet und innen "durchgepolstert".

Was ist denn Kitsch überhaupt?

Renate Flagmeier ist Leitende Kuratorin des Werkbundarchiv - Museum der Dinge an der Oranienstraße 25 in Berlin-Kreuzberg. Dort sammelt sie Stilsicheres - und in der aktuellen Ausstellung "Böse Dinge" die Gegenstücke dazu. Die "Bösen Dinge" sind noch bis 11. Januar 2010 zu sehen.

Der Begriff Kitsch wird trotz heutiger ironischer Konzepte eher abwertend gebraucht. Als kitschig werden Objekte charakterisiert, die unsachlich, unfunktional und übermäßig süßlich dekoriert sind. Früher sprach man übrigens eher von Geschmacksverirrungen. Kitsch ist ein reines Dekorationsobjekt. Man muss es ja nicht abschätzig verstehen, sondern kann es als Form charakterisieren. Vielleicht könnte man die so kategorisierten Dinge auch überladen und überdekoriert nennen, das wäre sachlicher.

Ist das etwas typisch Deutsches?

Ich glaube nicht, dass man das an einem Nationalcharakter festmachen kann. Auch in China etwa lieben die Menschen ja Nippes, oder denken Sie einmal an Osteuropa! Aber die Auseinandersetzung damit, die ist womöglich speziell für unser Land. Der Werkbund und die Bauhaus-Bewegung haben versucht, gegen den Kitsch anzukämpfen und klare, funktionale Formen durchzusetzen.

Ein wenig erfolgreicher Kampf. Warum?

Beim Deutschen Werkbund, dem zentralen Gegenstand unseres Museums, waren die Ansprüche vielleicht etwas hoch. Die Forderungen nach schlichten Formen und Farben waren eventuell zu rigoros; und es ist generell schwer, Menschen auf etwas festzulegen. Die Leute gehen eben nicht nur rational und sachlich an Dinge heran - an vielen Kitschobjekten hängen auch Erinnerungswerte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Menschen wieder etwas besitzen und haben sich Reiseandenken oder sonstige Erinnerungsstücke in die Wohnungen gestellt. Da konnte die Wohnberatung des Werkbunds nichts daran ändern.

Und heute geht es immer noch mehr um den schnellen Konsum als um langlebige, hochwertige Güter?

Ja, schon. Die Menschen wollen öfter Neues, das gehört zur Schnelllebigkeit. Davon leben die unzähligen Deko- und Designläden. Darauf basiert unsere Volkswirtschaft.

Kann Design denn Kitsch sein?

Man sieht das gut in der direkten Gegenüberstellung: Eine Modelltasse im Sinne des Werkbunds ist weiß, schlicht, klassisch. Das Gegenstück, eine Sammeltasse aus den 50er-Jahren, ist mit Schwarz und Gold verziert, der Henkel ist etwas extravagant eckig - Dekoration ohne Funktion. Oder wir haben hier ein Telefon, das auf antik getrimmt ist, dann aber Drücktasten auf der Wählscheibe hat. Einen Bierkrug, der mit Holz-Wäschezwecken ummantelt ist. Die Liste der sogenannten "bösen Dinge" sowohl aus Massenproduktion als auch aus Designerhand ist lang.

Und das schwedische Möbelhaus mit den vier Buchstaben?

Steht durchaus auf der einen Seite in der Werkbund-Tradition: Die Dinge sind schlicht, selbst aufzubauen und billig zu haben, eine Weiterentwicklung des Funktionalismus-Gedankens. Aber: Es gibt auch viel Schrott dort.

Kann man guten Geschmack lernen?

Na ja, es gibt wenig Möglichkeiten, sich wirklich mit Material- und Gestaltungsqualitäten auseinanderzusetzen. Geschmack ist abhängig von Normen, dem sozialen Stand. Man passt sich an das an, in das man hineinwächst. Kinder sind aber zunächst sehr kitschanfällig, sie lieben alles, was bunt ist und schrill.

Also ist Kitsch etwas Natürliches, und übersteigerte Intellektuelle wollen diese Regung unterdrücken?

So würde ich das nicht sehen. Es gibt ja ausreichend Theorien über den pädagogischen Wert von Spielzeug - und in einen Bauklotz kann ein Kind eben sehr viel mehr selbst hineinlegen als in eine Barbie-Puppe. Letztere ist ja schon völlig durchdekliniert. Aber in der Tat wird darüber diskutiert. Es gibt diejenigen, die Kitsch für sinnentleerte Emotionen halten - und deren Gegner, die dazu aufrufen, das Bedürfnis nach Kitsch auszuleben.

Also sind auch Intellektuelle kitschanfällig?

Na klar, das ist spätestens seit den 80er-Jahren eine Modeerscheinung. Die Trash-Bewegung etwa, die sagt doch: Ich weiß schon Bescheid, was Kitsch ist, aber ich stehe eigentlich drüber. Das verdeutlicht, wie kompliziert dieser Begriff Kitsch ist und wie vorsichtig man mit einer Wertung sein sollte.

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