„Eines Rechtsstaat unwürdig“

Steuerrechtlerin Johanna Hey kritisiert rückwirkende Gesetze und sieht Karlsruhe nicht auf Seiten der Steuersparer

taz: Die Regierung will die Vorteile für Steuersparfonds rückwirkend einschränken.

Johanna Hey: Als Rechtswissenschaftlerin halte ich das für unzulässig. Die Bürger sollten sich grundsätzlich darauf verlassen können, was im Gesetzblatt steht. Rückwirkende Änderungen der Rechtslage sind eines Rechtsstaats in der Regel unwürdig. Die Problematik der Steuersparfonds ist seit Jahren bekannt. Die Politik hätte schon längst eingreifen können. Deshalb ist es nicht einzusehen, warum das jetzt rückwirkend geschehen muss.

Wie ist die Rechtsprechung?

Maßgeblich ist hier das Bundesverfassungsgericht. Dort hat man zuletzt 1997 einen ähnlichen Fall entschieden – es ging um die Abschaffung von Steuervorteilen für Schiffsbeteiligungen. Damals hat der Bundestag rückwirkend die Rechtslage für bereits geschlossene Verträge geändert, und Karlsruhe hat das akzeptiert.

Warum?

Nach Ansicht der Verfassungsrichter können zwingende Gemeinwohlgründe eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot rechtfertigen, zum Beispiel wenn der Gesetzgeber vermeintlich unsinnige Subventionen abschaffen will.

Bis wann wäre demnach eine Rückwirkung möglich?

Entscheidend dürfte der Zeitpunkt sein, an dem die Gesetzesänderung angekündigt wurde. Ab dann konnten die Bürger auf den Fortbestand der Rechtslage nicht mehr unbedingt vertrauen. Im Fall von 1997 genügte dem Verfassungsgericht die bloße Ankündigung einer Gesetzesänderung im „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung“. Der Gesetzentwurf kam erst Wochen später.

Was heißt das für die aktuelle Diskussion um die Einschränkung der Vorteile bei Steuersparfonds?

Wenn die Bundesregierung unbedingt eine Rückwirkung ihres Gesetzes begründen will, gäbe es einige Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit. So wurde bereits im Mai 2005 ein entsprechender Gesetzentwurf im Bundeskabinett beschlossen, der später aber im Bundesrat scheiterte. Und Anfang November hat Finanzminister Eichel versucht, einen neuen Gesetzentwurf im Umlaufverfahren auf den Weg zu bringen, wobei Umweltminister Trittin dann die Unterschrift verweigerte.

Wird Karlsruhe seine eher rückwirkungsfreundliche Linie beibehalten?

Dafür gibt es keine Gewähr.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH