piwik no script img

Senat und S-Bahn streiten um WahrheitLügen haben kaputte Räder

Verkehrssenatorin sagt, S-Bahn-Krise dauert Jahre und beruft sich auf die Bahn. Die Bahn kontert ungewöhnlich hart: Das ist gelogen! Senatorin glaubt nun gar nichts mehr

"Hier fährt bald alles wieder nach Plan! "Stimmt ja gar nicht" "Stimmt doch" "Stimmt nicht" "Doch" "Nein!" "Wohl" usw. bis ca. nun äh, wer will sich da noch festlegen Bild: Reuters

Der Ton wird schärfer: S-Bahn und Verkehrssenatorin attackieren sich gegenseitig in aller Öffentlichkeit. "Ich glaube nur noch, was ich sehe", sagte Ingeborg Junge-Reyer (SPD) der taz. Zuvor hatte die S-Bahn die Glaubwürdigkeit der Senatorin in Frage gestellt.

In einem am Dienstag in der B.Z. erschienenen Interview hatte Junge-Reyer gesagt: "Inzwischen gibt die Bahn selbst zu, erst in drei oder sogar vier Jahren wieder den vollen Betrieb zu fahren." Die Bahn, der Mutterkonzern der S-Bahn, ging einen ungewöhnlichen Schritt und dementierte die Aussage der Senatorin in einer eigens verschickten Pressemitteilung: "Die Deutsche Bahn weist aktuelle Medienberichte klar zurück, wonach die S-Bahn Berlin erst 2013 zum Normalbetrieb zurückkehre." Bereits im Jahr 2010 wolle man den Fahrplan wieder einhalten. Ende Januar will die S-Bahn den konkreten Zeitpunkt bekanntgeben.

Ursprünglich hatte die S-Bahn versprochen, ab Mitte Dezember wieder den normalen Takt anzubieten. Kurz vorher teilte sie mit, es werde nun doch noch länger dauern. In den Tagen vor Weihnachten fielen zusätzliche Züge aus. Anfang dieser Woche hieß es plötzlich, dass die Bahnen nach Potsdam nur noch alle 20 Minuten fahren. Konkrete Begründungen und rechtzeitige Ankündigungen gab es dazu nicht.

Die Verkehrssenatorin hatte in den vergangenen Monaten mehrfach deutlich gemacht, wie unzufrieden sie mit dem S-Bahn-Chaos ist. Der derzeitige offene Schlagabtausch hat jedoch eine neue Qualität. Junge-Reyer blieb auch nach dem Dementi der S-Bahn bei ihrer Aussage: "Uns hat man gesagt, das kann noch drei bis vier Jahre dauern", bis die S-Bahn wieder im Normalbetrieb sei. Das Unternehmen könne "immer noch nicht sagen, wann die Radsätze zur Verfügung stehen werden." Sie zweifelt auch daran, dass das Chaos mit dem größten Nachdruck gelöst wird: "Die grundsätzliche Frage ist, mit welcher Anstrengung die S-Bahn an den Problemen arbeitet." Der Senat sei "sauer".

Junge-Reyer prüft derzeit, ob der Verkehrsvertrag, der noch bis zum Jahr 2017 mit der S-Bahn läuft, für die Zeit danach offen ausgeschrieben werden soll. Man dürfe aber nicht vergessen, dass die S-Bahn ein Monopolist sei, sagte Junge-Reyer. Das S-Bahn-Netz in Berlin unterscheidet sich technisch von allen anderen Strecken. Derzeit besitzt nur die Bahn AG Züge, die in Berlin fahren können. Es wird daher überlegt, ob das Land die Züge übernimmt und dann per Ausschreibung ein Unternehmen sucht, das den Betrieb übernimmt. "Es ist richtig, die Frage zu prüfen", sagte Junge-Reyer. Allerdings müsste die Bahn das Land bezahlen, damit dieses die Flotte übernimmt: "Schauen Sie sich einmal an, in welchem Zustand sich die Züge befinden." Es gebe aber noch keine Verkaufsverhandlungen. "Ich möchte die S-Bahn nicht um jeden Preis kaufen", so Junge-Reyer.

Im Januar sind bei der S-Bahn vorerst nur gut die Hälfte der Wagen einsatzbereit. Die Linien S 45 und S 85 fallen weiter ganz aus. Ulrich Homburg, Vorstandsmitglied der Bahn: "Auf der Grundlage aller uns bekannten technischen und betrieblichen Restriktionen gehen wir davon aus, den Fahrgästen im Jahr 2010 auf allen Linien wieder einen normalen Fahrplan zu bieten."

Für den SPD-Verkehrspolitiker Christian Gaebler haben solche Ankündigungen keine Relevanz mehr: "Die S-Bahn wird es sicher nicht schaffen, nächstes Jahr zum normalen Fahrplan zurückzukehren, egal was sie jetzt erklärt", sagte er der taz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • J
    Jürgen

    Weshalb kauft die S-Bahn nicht einfach weitere Züge, um die Notreserve aufzustocken? Weshalb werden nicht einfach die geschlossenen Werkstätten wieder geöffent und das dafür

    notwendige Personal eingestellt? Weshalb weigert sich die S-Bahn standhaft, endlich entprechend gegenzusteuern?

     

    Dass die S-Bahn nur mit mehr Personal und mehr Zügen ihren Betrieb ordentlich aufrechterhalten kann, sieht doch mittlerweile jeder Blinde mit Krückstock. Weshalb kommt diese Erkenntnis nicht bei den Verantwortlichen der S-Bahn, der DB und im Bundesverkehrsministerium an? Ist es den Aufsichtsräten der S-Bahn und DB, und dem verantwortlichen Bundesverkehrsminister einfach scheiß egal, was da passiert? Muss es erst Tote geben?

     

    Es ist doch offensichtlich, dass die betriebswirtschaftliche Rechnerei zwar zu einer exorbitanten Wirtschaftlichkeit des S-Bahnbetriebes geführt hat. Der eigentliche Auftrag der S-Bahn ist dabei aber völlig unter die Räder geraten.

     

    Weshalb wird von Seiten der Politik nicht klar gemacht, dass es so nicht geht? Bund und Land Berlin sind in den Aufsichtsräten der DB und der S-Bahn vertreten, aber nichts passiert. Schaukeln die Aufsichtsräten da nur ihre Eier durch die Gegend, oder was?

  • T
    tageslicht

    Vielleicht habe ich nicht die nätige Fachkenntnis; aber wer schließt einen Vertrag ab, in dem es möglich ist, dass eine Partei nicht die festgelegten Leistungen erfüllt und der Vertrag dadurch nicht seine Gültigkeit verliert?

     

    Die Berliner S-Bahn sollte Berlin gehören, niemandem sonst. Und zwar jetzt, und nicht in 7 Jahren. Wer weiß, ob bis dahin nicht schon wieder die Schwarzen mit Hilfe der Grünen an der Macht sind. Es glaubt doch niemand ernsthaft, dass dann noch gegen die S Bahn vorgegangen wird.