Grundgesetz als Schmuckblatt
: KOMMENTAR von BETTINA GAUS

So hatte sich Horst Köhler seine Amtsausübung vermutlich nicht vorgestellt. Es droht zur Gewohnheit zu werden, dass dem Bundespräsidenten Gesetze und Entscheidungen zur Unterschrift vorgelegt werden, die in verfassungsrechtlicher Hinsicht zumindest bedenklich sind – wenn sie nicht gar in offenem Widerspruch zum Grundgesetz stehen. Über das Luftsicherheitsgesetz wird in Karlsruhe verhandelt. Die Begleitumstände der Neuwahlen sind zum Symbol für politisches Schmierentheater geworden. Und jetzt sollte dem Staatsoberhaupt auch noch zugemutet werden, ein Haushaltsgesetz zu unterzeichnen, das sogar manche der Entscheidungsträger als verfassungswidrig bezeichneten.

Wenigstens das wurde in letzter Minute abgewendet. Unmittelbar vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages haben sich die neuen Bündnispartner doch noch darauf besonnen, dass der Wahlkampf vorbei ist. Sie konnten sich auf eine gemeinsame Begründung für den gemeinsam geplanten Haushalt einigen, die mit einigem guten Willen als verfassungskonform durchgehen kann. Wenn das kein günstiges Vorzeichen für den Erfolg einer Regierung ist. Man wird ja bescheiden.

Dennoch bleibt die Tatsache verstörend, dass überhaupt darüber gestritten wurde, ob eine verfassungskonforme Begründung für den Haushalt notwendig sei. Diese Auseinandersetzung zeigt, welchen Stellenwert das Grundgesetz bei Teilen der politischen Klasse inzwischen genießt: den eines hübschen Schmuckblatts für Schönwetterperioden.

Mehrfach bereits blieb dem Bundespräsidenten nur die Wahl, entweder eine politische Krise auszulösen oder das Recht sehr, sehr weit zu dehnen, wenn nicht gar zu beugen. Das Verfassungsgericht stand und steht vor derselben Alternative. Das ist ein Missbrauch staatlicher Institutionen und eine Respektlosigkeit gegenüber den Beteiligten. Vor allem aber zeigt es, dass alle Versuche, rechtliche Fragen pragmatisch zu lösen, nur zu einer immer weiteren Aushöhlung des Rechts führen. Köhler darf deshalb das Haushaltsgesetz nur unterschreiben, wenn er keinerlei Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit hat. Andernfalls verletzt er seinen Amtseid.