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Springers 68er ArchivNeues aus der Wagenburg

Ab Sonntag präsentiert der Konzern sein "Medienarchiv68" im Internet. Rund 6000 Artikel sollen belegen, dass man von "Bild" bis "B.Z." gar nicht so schlimm war.

Medienarchiv68 – ab 17.1. zum Durchwühlen freigegeben. Bild: screenshot axel-springer.de

Das Unterfangen ist aller Ehren wert: Seit Monaten arbeitet das Archiv bei Axel Springer daran, Artikel rund um die Studentenrevolte für das Internet aufzubereiten. 5900 Einzeltexte sind es nun geworden, aus allen – damals – relevanten Titeln des Konzerns. Spannend wird das allemal, schließlich steht das "Medienarchiv68" dann allen offen. Dazu kann die Berichterstattung der Springer-Titel mit Artikeln aus den damaligen Berliner Konkurrenzblättern Tagesspiegel und Telegraf verglichen werden – allerdings nur "punktuell", was immer das heißt.

Weniger ersprießlich ist dagegen der Zweck der Übung: Springer, allen voran der künftige Welt-Herausgeber und bisherige Chefredakteur der Welt-Gruppe, Thomas Schmid, und Konzernchef Mathias Döpfner, führen hier ihren kleinen Kulturkampf gegen 1968 munter weiter. Man wolle "wissen, wie es wirklich war" – mit dieser Begründung hatte Döpfner schon 2009 zu einer Neuauflage des Springer-Tribunals von 1968 einladen wollen. Doch weil die damaligen Protagonisten aus der Studentenbewegung die heutigen Tribunal-Vorstellungen von Springer nicht mochten, fiel die Reanimation aus.

Jetzt kommt also das Springer-Tribunal 2.0: "Wir werden es uns nicht nehmen lassen, über die damaligen Geschehnisse zu diskutieren, wann, wo und wie wir das für richtig halten", hatte der Welt-Chef schon im Herbst 2009 markig zu Protokoll gegeben. Denn "die Leistungen dieses Verlags sind ja fast nicht gewürdigt worden", so Schmid, der 1968 noch in Frankfurt/Main gegen Springer demonstriert hatte. Und selbst in der B.Z., die 1968 in West-Berlin wesentlich wichtiger als die Bild-Zeitung war, sei "sehr viel differenzierter berichtet" worden, als das heute wahrgenommen werde: Es sei ihm unerklärlich, so Schmid, "was sich damals festgesetzt hat - das Bild von der ungeheuren Macht Springers".

Auch Döpfner hatte wiederholt die "Wagenburgmentalität" beklagt, die durch das Trauma von 1968 immer noch über dem Verlag schwebe. Ob sich dieses Trauma durch erneutes Wackeln am "Gründungsmythos der 68er" (Döpfner über den als Stasi-Spitzel enttarnten Polizisten Karl-Heinz Kurras, der Benno Ohnesorg erschoss) auflösen lässt? Wohl kaum, zumal es Schmid noch immer um Genugtuung geht.

Wagenburg-Mentalität

Dass die Wagenburg-Mentalität so eher noch verstärkt wird, sieht allerdings auch Mancher im Konzern so: Damit kochten nur alte Auseinandersetzungen und Verletzungen wieder hoch, sagt ein hochrangiger Springer-Mitarbeiter. Dabei sei das Haus doch längst weiter und habe sich überzeugend modernisiert.

Damit scheint es aber nicht so weit her zu sein: Dass "Sichabarbeiten" an 1968 und den Folgen eint Döpfner, Schmid und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Doch warum? Vielleicht hilft ein Satz weiter, den Döpfner gern mal zitiert, wenn nachgeborene 1968er an den Gewinnzahlen der Welt zweifeln: "Oscar Wilde hat, glaube ich, den Satz geprägt: Die Deutschen sind das einzige Volk, bei dem der Neid stärker ausgeprägt ist als der Sexualtrieb."

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1 Kommentar

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  • R
    reblek

    Wie sagte doch Günter Wallraff, wenn er etwas kaufen wollte, das sich selbst nicht "Zeitung" zu nennen wagt: "Einmal das Drecksblatt." Daran hat auch die "Modernisierung" nichts geändert.