Erdbeben in Haiti: Die Katastrophe im Sonnenuntergang

Die Deutsche Diakonie und die Deutsche Welthungerhilfe versuchen in Haiti zu helfen. Doch die Arbeit ist schwer, überall liegen Trümmer und Leichen. Ein Rückblick.

Amerikanische Suchtrupps in den Trümmern von Port-au-Prince. Bild: reuters

PORT-AU-PRINCE taz | Den Überlebenden bot sich ein Bild des Grauens – nur wenige Minuten nachdem in Port-au-Prince die Erde wie noch nie eine Minute lang gebebt hatte, wurden die Straßen in eine dichte Staubwolke gehüllt. Hilfeschreie erfüllten die engen Gassen zwischen den Hütten des bevölkerungsreichen Armenviertels im Südwesten der haitianischen Hauptstadt, in dem die übergroße Mehrheit täglich mit weniger als einen US-Dollar leben muss.

Vom Betonstaub weiß eingeschmutzte Menschen und leichte Verletzte versuchten verzweifelt mit bloßen Händen nach Angehörigen und Überlebenden in den Schutthaufen zu graben, die sich bis auf die Straßen erstreckten. Leere Fensterhöhlen ohne Sturz, Moniereisen und Holzplanken, die sich in den Himmel reckten, bildeten bald eine bizarre Kulisse, als über dem Meer, das bis direkt an die Hütten reicht, knapp eine Stunde nach dem Beben die Sonne unterging.

Frauen und Männer zerren an Kinderleichen und versuchen sie vergeblich auf dem Kofferraum von Schrottautos oder einfach auf dem Straßenboden wiederzubeleben. Frauen schreien gestikulierend ihren Schmerz heraus, Männer sitzen zusammengesunken in der Ecke und können ihren Leid nicht verbergen. Kinder in zerrissen in Schuluniformen irren durch die Straßen. Um die Uhrzeit des Bebens, kurz vor 17 Uhr Ortszeit, endet für viele schulpflichtige Kinder der Unterricht.

Manche Stadtviertel sind regelrecht dem Erdboden gleich gemacht. Im Stadtzentrum von Port-au-Prince herrscht das blanke Chaos und den Überlebenden ein Bild des Grauens. Rund um das normalerweise in leuchtendem weiß in der Sonne strahlenden Sitz des haitianischen Staatspräsidenten sind zahlreiche Gebäude eingestürzt. Der Palast selber, dem Weißen Haus in Washington nachempfunden, ist über die ganze Länge eingebrochen und reicht kaum mehr über den ersten Stock hinaus.

Die mächtige Mittelkuppel, auf der jeden Tag stolz die blau-rote Fahne der ersten unabhängigen Republik in Lateinamerika aufgezogen worden ist, ist einfach nach unten geknickt und abgerutscht. Der gut gewässerte Rasen vor dem Gebäude ist mit Schutt überladen. Der Regierungspalast selbst wird wohl über lange Jahre nicht mehr den Staatschef beherbergen können – die in diesem Jahre anstehenden Wahlen werden vermutlich nicht stattfinden. Es ist kaum vorstellbar, dass sich Haiti in kurzer Zeit von dieser Katastrophe erholen kann.

„Wenn diese stabilen Gebäude beschädigt sind, können sie sich vorstellen, was mit all den wackligen Behausungen an den Hängen rund um Port-au-Prince passiert ist“, sagte Raymond Joseph. Der haitianische Botschafter in den USA informierte CNN, dass der Staatspräsident René Preval und seine Frau Elisabeth Débrosse Delatour den Einsturz des Gebäudes unverletzt überlebt hätten. Prevals Frau habe sich telefonisch in den USA gemeldet, berichtete Joseph.

Das Erdbeben ist wohl das Schwerste in der Geschichte der zweitgrößten Karibikinsel Hispaniola, die sich Haiti und die Dominikanische Republik teilen. Im östlichen, dominikanischen Insel war die Erschütterung der Erde zwar zu spüren, Schäden oder Menschenleben sind nach ersten Berichten der dominikanischen Katastrophenhilfe nicht zu beklagen. Militärhubschrauber aus Santo Domingo brachten erste Hilfskräfte nach Port-au-Prince.

Das Bürogebäude der Diakonie Katastrophenhilfe wurde bei den Erdbeben wenig beschädigt. „Eine Mitarbeiterin ist leicht verletzt“, berichtet die Chefin der deutschen Hilfsorganisation, Astrid Nissen, in einem Telefongespräch, kurz bevor die Verbindung wieder abbricht. Neben der Stromversorgung ist auch das Telefonnetz vollständig zusammengebrochen. Kontakte nach Port-au-Prince sind kaum möglich.

Auch ein Krankenhaus, das von der internationalen religiösen Hilfsorganisation „Unsere kleinen Brüder und Schwester“ unter anderem auch mit deutscher Finanzierung, betrieben wird, ist weitgehend zusammengestürzt. Mit schwerem Bergungsgerät hätten Helfer versucht, die Verschüttteten aus den Trümmern zu bergen. „Viele Straße sind weiter blockiert, wir können kaum durchkommen“, so Astrid Nissen.

Erschwert wird die Situation auch dadurch, dass die UN-Friedenstruppe MINUSTAH selbst schwer betroffen ist. Das mehrstöckige Verwaltungsgebäude ist eingestürzt und hat Mitglieder der Blauhelmtruppe und zivile Angestellte in den Tod gerissen oder unter den Betonmassen begraben. Auch Unterkünfte der seit 2004 stationierten UN-Soldaten sollen betroffen sein, in einer ersten Meldung spricht die UN von mindestens einen halbe Dutzend Toten. Der Leiter der UN-Nothilfeorganisation OCHA wird vermisst, seine Familie soll unter den Trümmern des eingestürzten Privathauses liegen.

Dadurch, dass auch Hilfsorganisationen betroffen sind, werden erste Hilfsaktionen zusätzlich erschwert. Das Ausmaß des Bebens ist derzeit kaum zu erfassen, sagte die Diakonie Katastrophenchefin zurückhaltend, „aber es dürfte sich um eine sehr schwere Katastrophe für Haiti handeln. Michael Kühn, der Leiter der Deutschen Welthungerhilfe, war nur kurzzeitig telefonisch erreichbar. In einem Telefoninterview mit der Deutschen Presseagentur äußerte er schlimmste Befürchtungen: „Ich gehe davon aus, dass die Zahl erschreckend hoch sein wird.“

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