Urs Siegenthaler zum Afrika-Cup: "Die Wirklichheit holt uns hier ein"

Urs Siegenthaler beobachtet für den DFB die Kontinentalmeisterschaft und diagnostiziert eine Reafrikanisierung des Fußballs, die allerdings gar nicht den gern kolportierten Klischees entsprechen will.

"Die Uhren in Afrika ticken eben ein bisschen anders.", Urs Siegenthaler. : dpa

taz: Herr Siegenthaler, sind Sie gut angekommen in Afrika?

Urs Siegenthaler: Ich kenne den Kontinent ja schon ein bisschen, denn das ist jetzt mein dritter Afrika-Cup, den ich beobachte. Ich fühle mich sicher, aber ich weiß auch, dass man hier mit ein paar Widrigkeiten leben muss. So war meine Reise mit den Veranstaltern eigentlich abgesprochen, und sie haben mir geschrieben, alles sei bereit und organisiert für mich. Dann kam ich hier an, und keiner wusste was von meinem Besuch. Aber das überrascht mich nicht, und ich bin deshalb auch niemandem böse. Afrika ist eben etwas anders.

Sie sind vor allem hier, um den deutschen WM-Vorrundengegner Ghana zu studieren. Doch der spielt aufgrund von Verletzungen mit vielen Junioren. Können Sie da überhaupt brauchbare Schlüsse ziehen?

62, ist gebürtiger Schweizer, war Spieler und Trainer des FC Basel und arbeitet seit 2005 als Chef-Spielerbeobachter für den DFB.

Wissen Sie, das Bild einer Nationalmannschaft ändert sich ja nicht, wenn die mit zwei alten statt mit zwei Jungen spielen. Was bleibt, ist die Handschrift des Trainers. Es kann passieren, dass die Gesetzten auch bei der WM ausfallen, dann spielen die, die wir hier sehen. Ich glaube, das Bild über Ghana rundet sich für mich schon ein bisschen ab.

Wie sieht dieses Bild aus?

Der Fußball in Afrika ist zuletzt stark europäisiert worden, das wurde als Fortschritt gefeiert. Nun habe ich das Gefühl, dass wieder sehr afrikanisch gespielt wird. Wenn ich 20 Schweizer in Kanada treffe, dann ist das oft mehr schweizerisch als zu Hause. Hier treffen sich elf Ghanaer, die alle in Europa leben und die doch wieder, wie ursprünglich, ghanaisch spielen.

Was genau meinen Sie?

Entgegen dem Klischee ist das weniger ein technisch anspruchsvoller, spielerischer Fußball. Es wird stattdessen mit viel Wucht gespielt, mit enorm großer Verbissenheit, mit beeindruckender Hingabe und Dynamik. Die Bereitschaft, die weiten Wege zu gehen, dieses Engagement, das ist auffällig. Nur bei wenigen Teams, zum Beispiel der Elfenbeinküste, ist zu sehen, dass sie versuchen, das Spiel taktisch zu dominieren und zu kontrollieren. Kleinere Nationen wie Malawi oder Gabun, die spielen wie zu Kindeszeiten einfach, bis sie müde sind. Bei meinen ersten beiden Besuchen beim Afrika-Cup war ich begeistert vom Engagement der Spieler. Jetzt habe ich zum ersten Mal sehr subjektiv das Gefühl, dass uns hier die Wirklichkeit einholt.

Stagniert Afrikas Fußball?

Nein, das will ich so nicht sagen. Ich sehe aber eine Entwicklung: Die Teams unterliegen auch in Afrika mehr und mehr den Gesetzen, die uns in Europa bekannt sind. Es gibt vielleicht satte Spieler, es gibt vielleicht satte Teams. Es gibt überspielte Spieler und Teams. Und es gibt keine Kleinen mehr. Bei der WM werden die afrikanischen Teilnehmer mit einer anderen Vorbereitung und unter anderen Voraussetzungen spielen.

Können sich die afrikanischen WM-Teilnehmer überhaupt vernünftig auf die WM vorbereiten bei zwei Großereignissen innerhalb eines halben Jahres?

Wenn Sie eine Mannschaft einen Monat lang zusammen haben, um seriös mit den Spielern zu arbeiten, dann kann das nur von Vorteil sein. Kein europäischer Nationaltrainer würde sagen: Oh nein, ich möchte mein Team jetzt lieber nicht vier, fünf Wochen beisammenhaben. Die Mannschaften spielen mindestens drei Spiele, haben 20 Trainingseinheiten, davon können andere Nationaltrainer nur träumen.

Andererseits werden nach dem Afrika-Cup meist fleißig Trainer entlassen.

Die Uhren in Afrika ticken eben ein bisschen anders. Es kann schon passieren, dass sich dieser Vorteil in einen Nachteil umkehrt. Aber das ist eben Afrika.

INTERVIEW: DANIEL THEWELEIT

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