Wahl in Schleswig-Holstein: Die letzte Stimme
Die Nachzählung der Landtagswahl ergab in einem Bezirk deutliche Fehler. 32 Zweitstimmen für die Linke wurden nicht mitgezählt. Damit schrumpft der schwarz-gelbe Vorsprung.
"Sechs, sieben, acht …" Beim entscheidenden Stapel zählten alle halblaut mit: Journalisten, Mitarbeiter der Fraktionen, alle, die sich am Freitag im Saal 142 des Kieler Landeshauses versammelt hatten, um bei der Prüfung des Landtagswahlergebnisses im Stimmbezirk "Husum 3" dabei zu sein.
Landeswahlleiterin Monika Söller-Winkler hatte die Nachprüfung angeregt, da es eine auffällige Abweichung bei den Stimmen für die Linke gegeben hatte: Nur neun Wähler gaben ihr demnach die Zweitstimme für den Landtag, während es bei den Erststimmen und der gleichzeitig stattfindenden Bundestagswahl deutlich mehr waren. "… Neun, zehn, elf …" Das Heikle daran: Vier Stimmen mehr ändern das Sitzverhältnis im Landtag, die Linke gewinnt ein Mandat, die FDP verliert eins. "Zwölf, dreizehn, vierzehn …"
Am Ende gab es 32 Zweitstimmen mehr für die Linke - offensichtlich hatte der lokale Wahlausschuss einen kompletten Stapel nicht mitgezählt. "Das ist schon hart an der Grenze", sagte Ulrich Schippels von der Linksfraktion. Das jetzige Verfahren wäre nicht notwendig gewesen, wenn der Kreiswahlleiter in Nordfriesland gleich den frühzeitigen Hinweisen der Linken nachgegangen wäre.
Dass als Ergebnis einer Nachprüfung ein Landtagssitz von der Regierung an die Opposition übergeht, sei "bundesweit wohl einmalig", sagte Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU). Die Abweichung wolle er "nicht kleinreden", es sei gut, dass der Fehler nun korrigiert sei.
Als Ergebnis hat die schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen nun nur noch eine Mehrheit von einer Stimme im Landesparlament. Die Frage ist, ob dies als stabile Basis für die nächsten viereinhalb Jahre bis zum Ende der Wahlperiode ausreicht.
Bei der Landtagswahl am 27. September 2009 wurde die CDU stärkste Partei mit 31,5 Prozent und 34 Mandaten vor der SPD mit 25,4 Prozent (25). Die FDP erhielt 14,9 Prozent (15 Sitze), die Grünen 12,4 (12), die Linke 6,0 (5) und der SSW 4,3 Prozent (4).
CDU und FDP haben bei drei Mandaten mehr (49) als SPD, Grüne, SSW und Linke (46) eine Koalitionsregierung gebildet.
Die Verteilung ist umstritten, weil drei von elf Überhangmandaten der CDU entsprechend dem Wahlgesetz nicht durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert wurden. Ohne Deckelung hätte Schwarz-Gelb mit 50 Sitzen gegen die anderen Fraktionen mit 51 keine Mehrheit gehabt.
Vor dem Landesverfassungsgericht ist gegen diese Verteilung eine Normenkontrollklage von Grünen und SSW anhängig. Wann das Gericht entscheidet, ist noch offen. Von der Entscheidung hängt ab, ob das Regierungsbündnis von CDU und FDP kippt.
FDP-Fraktionsvize Katarina Loedige gab sich optimistisch, dass "wir die Regierungsarbeit so fortführen, wie wir es geplant haben - Mehrheit ist Mehrheit".
Auch Christian von Boetticher, Vorsitzender der CDU-Fraktion, betonte: "Die Koalitionsfraktionen stehen geschlossen hinter der Regierung. Da kommt es nicht darauf an, ob wir eine oder drei Stimmen Mehrheit haben." Allerdings müssen nun bei jeder Abstimmung der nächsten Jahre alle Abgeordneten der Regierungsfraktionen anwesend sein. Keiner darf krank oder verhindert sein, und es wird auch schwierig, wenn etwa Bundesratssitzungen mit Landtagsdebatten zeitlich zusammenfallen.
"Das Regieren ist jetzt noch schwieriger", sagte SPD-Fraktionschef Ralf Stegner. "Die Koalition hatte bisher nicht die Kraft zu klaren Entscheidungen und wird noch hinfälliger werden." Die grüne Landesvorsitzende Marlene Löhrs geht davon aus, "dass die Mehrheit steht, wie sie ist". Die Grünen würden weiter auf knallharte Opposition setzen. "In Einzelfragen", sei der SSW zu einer Zusammenarbeit bereit, sagte dagegen Flemming Meyer, Abgeordneter und Landesvorsitzender der Partei der dänischen Minderheit. Eine Regierungsbeteiligung sei aber "mit einer Koalition, die sich den Abbau des Sozialstaates auf die Fahnen geschrieben hat" nicht möglich.
Die FDP-Abgeordnete Christina Musculus-Stahnke wird ihren Sitz im Landtag verlieren - ihr Status als Abgeordnete bleibt aber, bis das Landesverfassungsgericht entschieden hat, ob die Wahl insgesamt gültig war. Zu Spekulationen, der FDP-Bildungsminister Ekkehard Klug könnte sein Mandat für die Parteifreundin abgeben, sagte die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katarina Loeding: "Darüber wird nicht nachgedacht." Es würde auch nicht helfen: Bliebe Musculus-Stahnke Abgeordnete - wenn auch ohne Stimmrecht -, müsste für Klug der nächstplatzierte von der FDP-Landesliste nachrücken. Unklar ist, ob Musculus-Stahnke weiter ihre Bezüge erhält.
Für die Linke zieht nun Björn Thoroe in den Landtag ein. Der 25-jährige Student will sich mit Hochschulpolitik und Abrüstung beschäftigen.
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