Debatte Afghanistan-Konferenz: Kurz vor der Kapitulation

Was Westerwelle als Neuanfang verkauft, sind alte Strategien, die nachweislich kontraproduktiv waren.

Am Hindukusch endlich die Wende zu schaffen, das war das erklärte Ziel der Londoner Afghanistan-Konferenz. Tatsächlich hätte das geschundene Land einen Kurswechsel ebenso bitter nötig wie internationalen Regierungen, die bislang mit ihren Wiederaufbauversuchen mehr oder weniger gescheitert sind. Doch während auch dieses Gipfeltreffen suggerieren sollte, nun läge die richtige Strategie vor und die richtigen Maßnahmen würden endlich ergriffen, ging es im Grunde vor allem um eine Autosuggestion. Es war der Versuch, ein letztes Mal die Reihen zu schließen.

Seit der Petersberger Konferenz von Ende 2001 hat die internationale Gemeinschaft regelmäßig große Treffen zur Zukunft Afghanistans abgehalten. Ihnen gemein ist, dass sich die Bestandteile ihrer Beschlüsse gleichen: Schon immer ging es offiziell darum, dass die Afghanen die Hoheit über ihr Schicksal haben sollen, "Afghan ownership" hieß das früher. Auch war immer klar, dass die internationalen Truppen nicht ewig bleiben und keine Besatzer sein sollen. Es ging bei jeder Konferenz um mehr internationale Soldaten und Polizisten. 2002 war die Isaf-Truppe ganze 7.000 Männer und Frauen stark. Im Vergleich zu heute war Afghanistan damals geradezu beschaulich. Sprengfallen gab es so wenig wie Handys, mit denen sie hätten ferngezündet werden können.

Von Anfang an ging es auch immer um Aufbau und Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Ebenso gab es immer ein rhetorisches Bekenntnis zur Reintegration der Taliban und um Versöhnung mit ihren Führern, sofern sie keine Terroristen sind. Auch war klar, dass es dauerhaften Frieden nur im regionalen Kontext geben kann. Doch noch immer ist Pakistans Unterstützung halbherzig und lässt sich der Iran nicht einbinden, wie sein Fehlen in London zeigt.

Mehr Entwicklungshilfe, die Bekämpfung des Drogenanbaus und eine korruptionsfreie, effiziente Regierungsführung sowie Rechtsstaatlichkeit versprachen alle Abschlusserklärungen. Früher wurde noch häufig von Demokratie, Menschen- und Frauenrechten gesprochen. Um die ist es jetzt stiller geworden. Seit Präsident Karsai die Wahl fälschte und die UNO ihn davonkommen ließ, ist die Glaubwürdigkeit beider dahin. Afghanistans politischer Aufbau ist weitgehend gescheitert. Das Land hat ein kaum funktionierendes politisches System bekommen, bei dem die Zivilgesellschaft marginalisiert bleibt.

In ihrer Summe haben die Bestandteile der seit 2001 immer wieder nur leicht modifizierten Strategie nicht funktioniert. So haben mehr Soldaten zu mehr Krieg, mehr Opfern und mehr Widerstand geführt. Der Aufbau einer afghanischen Armee und Polizei hat die Warlords nicht geschwächt, sondern mit neuen Waffen und trainierten Kämpfern versorgt. Die bisherigen Integrationsversuche aussteigewilliger Taliban schwächten nicht die Aufständischen, sondern förderten die Korruption und führten dazu, dass sich Bewaffnete als Taliban ausgaben, um in den Genuss entsprechender Programme zu kommen. Auch die bei jeder Konferenz aufgestockte Entwicklungshilfe diente vor allem der weiteren Entwicklung der Korruption - nicht nur unter Afghanen.

Eine überzeugende Antwort, warum jetzt all diese gleichen Mittel plötzlich wirken sollen, nachdem sie es acht Jahre nicht taten, blieb die Londoner Konferenz schuldig. Bundesaußenminister Guido Westerwelle tat so, also handele es sich jetzt um eine ganz neue Politik ("strategischer Neuanfang"). Dabei ist es nur eine neue Verpackung durch einen profilierungssüchtigen neuen Minister.

Den Konferenzen und Lippenbekenntnissen in westlichen Ländern glauben die Afghanen längst nicht mehr. Für sie ist entscheidend, was bei ihnen vor Ort geschieht. Dass die London-Konferenz in Afghanistan kaum Wirkung haben wird, zeigt sich daran, dass schon bald in Kabul eine Folgekonferenz für Afghanen geplant ist. Das Instrument der Konferenzen ist stumpf geworden und schärft sich nicht durch inflationären Gebrauch.

Gewiss lief beim Wiederaufbau Afghanistans nicht alles schlecht. Die Bilanz ist durchaus gemischt. Aber die Ergebnisse blieben weit hinter Versprechen und Erfordernissen zurück. Die Konferenzen haben immer große Fortschritte angekündigt, die dann nicht stattfanden. Die im vergangenen Sommer formulierte Einsicht des amerikanischen Isaf- und Nato-Generals Stanley McChrystals, dass die internationalen Soldaten für die Sicherheit der Afghanen sorgen und nicht Taliban töten sollen, war eine längst überfällige Korrektur. Doch könnte das mehr tote internationale Soldaten bedeuten, was die Wähler in den Entsendestaaten kaum zu akzeptieren bereit sind.

Bei der Korrektur der Strategie kommt es nicht nur auf die richtige Erkenntnis an, sondern auch auf den Zeitpunkt - vor Ort wie in den Entsendestaaten. Vor einigen Jahren hätten sich viele Korrekturen nicht nur preiswerter, sondern auch erfolgversprechender durchsetzen lassen. Inzwischen könnte es für Einsichten wie die von McChrystal sowohl in Afghanistan wie in der US-Bevölkerung zu spät sein. Abgesehen davon ist fraglich, ob sich ein hochgerüsteter Militärapparat wie der amerikanische überhaupt erfolgreich für Bedürfnisse und Empfindungen der Afghanen sensibilisieren lassen kann. Oder ob dem nicht das immanente Überlegenheitsgefühl der Soldaten von "gods own country" entgegensteht.

Bei keiner Afghanistan-Konferenz der letzten Jahre wurden so stark Termine der Verantwortungsübergabe und eines Abzugsbeginns thematisiert. Dies waren verklausulierte befristete Durchhalteparolen, um den zweifelnden Bevölkerungen ein letztes Mal mit dem Versprechen auf baldige Erlösung erneut vermehrte Kraftanstrengungen abringen zu können.

Dies wird ein weiteres Mal nicht mehr funktionieren. Damit leitete London für die westlichen Regierungen einen ihrer Hoffnung nach gesichtswahrenden Abzug vom Hindukusch ein. Die Konferenz könnte damit das letzte große internationale Aufbäumen gegen die Taliban gewesen sein.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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