Pro und Kontra: Soll der öffentliche Dienst jetzt streiken?

Die Kommunen sind pleite, sagen die Streikgegner. Es wird Zeit die Verluste bei den Reallöhnen wieder auszugleichen, sagen die Unterstützer des Arbeitskampfes.

Warnstreik am Klinikum Wolfsburg. : apn

Pro

Ja, die Finanzlage der Kommunen ist bitter. Doch die Forderungen und der Streik im öffentlichen Dienst sind trotzdem richtig. Die Streikenden fordern vor dem Hintergrund jahrelanger Reallohnverluste nicht nur moderate Einkommenszuwächse, sondern auch die erneute Einführung der Altersteilzeit bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Übernahme von Auszubildenden. Denn der Personalbestand des öffentlichen Dienstes wird seit Jahren zurückgefahren. Dazu kommt: Die Tariflöhne sind in den letzten zehn Jahren deutlich langsamer gestiegen als in dem meisten anderen Branchen.

Es gibt den Beamten im hohen Dienst, der gut verdient und auch bei der Altersversorgung Privilegien genießt. Aber eine große Anzahl derjenigen, die jetzt für etwas mehr Lohn streiken, sind Busfahrer, Müllmänner, Zollbeamte oder Krankenschwestern. Sie gehen mit 1.300 bis maximal 2.300 Euro nach Hause. Gleichzeitig steigen die Anforderungen: Die Angestellten in den Argen sollen für immer mehr Arbeitslose zuständig sein und ein hochkomplexes Regelwerk anwenden. Der Lebensmittelkontrolleur soll uns vor dem Gammelfleisch bewahren, die Erzieherinnen sollen unsere Kinder immer gezielter fördern. Wir wollen immer mehr, doch kosten darf es nicht mehr. Selbst in den Kommunen gibt es Stimmen, die sagen, man darf den öffentlichen Dienst nicht noch weiter zurückfahren, will man existenzielle Leistungen für ein gut funktionierendes Gemeinwesen erhalten.

Doch auch aus politisch-strategischen Gründen ist der Streik richtig: Wenn man jetzt dem Ruf folgt, er sei angesichts der leeren Kassen unverantwortlich, schlägt man nicht nur volkswirtschaftlich gewichtige Argumente in den Wind, denn Kaufkraftsteigerung auf dem Binnenmarkt müsste das Gebot der Stunde sein. Man geht auch gern bemühten Sachzwangargumenten auf den Leim, die den Blick darauf verstellen, womit wir es zu tun haben: mit einer Regierung, die die Umverteilung von unten nach oben befeuert, dabei aber den Spruch bemüht: "Alle müssen den Gürtel enger schnallen." Selbstauferlegte Bescheidenheit ist da Selbstmord.

Eva Völpel ist Inlandsredakteurin der taz.

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Kontra

Keynes Grundsatz ist richtig, das haben spätestens im letzten Jahr alle Interessierten gelernt: In wirtschaftlichen Krisen sollte der Staat nicht sparen, sondern Geld in die Hand nehmen und die Binnenkonjunktur stärken. Der Dieselmotor wird angeworfen und ersetzt die Segel, die schlaff in der konjunkturellen Flaute hängen. Gleichzeitig ist der Treibstoffvorrat an Bord aber endlich. Der Stimulus kann also nur zeitlich begrenzt gesetzt werden. Auch das hatte Keynes vorgesehen: In wirtschaftlich besseren Zeiten soll der Staat sich sein Geld dann zurückholen.

Soweit denken die Ver.di-Strategen jedoch leider überhaupt nicht, zumindest nicht öffentlich. Stattdessen verballhornen sie die keynsianische Lehre zum ebenso holperigen wie fragwürdigen Motto "Sozial ist, was Kaufkraft schafft".

Ver.di unterläuft also erstens das Gebot der zeitlichen Befristung staatlicher Stimuli. Oder sollen die Löhne nach der Krise etwa wieder gekürzt werden? Zweitens wird das entscheidende Problem ignoriert: Der Tank ist in den meisten Städten und Gemeinden schon lange leer, das Schiff fährt noch nicht mal auf Reserve, sondern auf Pump. Und die Rechnung zahlen wir: durch höhere Steuern, marode Schulen, teurere Bus-Tickets und noch ein geschlossenes Hallenbad.

Schon klar: Krankenschwestern und Altenpfleger sind in Deutschland unterbezahlt und die Arbeit von ErzieherInnen in Kitas sollte uns nicht weniger wert sein als die der Lehrer. Doch solche Fragen müssen in branchenspezifischen Verträgen gelöst werden, die wesentlich flexibler auf die jeweiligen Rahmenbedingungen eingehen können.

Die Mitglieder der IG Metall haben zu Recht vor allem auf die Sicherung von Arbeitsplätzen gesetzt, weil die Autobranche derzeit auf Halde produziert. Banken und Versicherungen melden ein Jahr nach den staatlichen Rettungsaktionen hingegen wieder Milliardenprofite. Wenn es bei denen wieder um Lohnverhandlungen geht, sollte Ver.di darauf achten, dass ihre Lohnforderungen nicht zu bescheiden ausfallen. Anders als bei den Kommunen ist dort nämlich Geld zu holen.

Stephan Kosch ist Wirtschaftsredakteur der taz.

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Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften

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