piwik no script img

KOMMENTAR SCHULSTREITDummheit ist möglich

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Auch wenn klare Fronten etwas für sich haben: Jetzt, da der Volksentscheid kommt, stehen mühevolle Monate für die Reformbefürworter an.

D ass die Verhandlungen geplatzt sind, ist nicht nur schlecht, denn viele wollen sich für die Schulreform engagieren. Aber Achtung: Auch wenn klare Fronten etwas für sich haben, stehen doch mühevolle Monate an.

Walter Scheuerl ist es geglückt, eine neue Argumentationsfigur zu setzen. Es geht kaum noch um das Elternwahlrecht. Er lässt alle bisherigen Schulstudien beiseite und suggeriert, dass sich die Primarschulreform noch per Schulversuch beweisen müsse. Dabei sagen Experten, dass längeres gemeinsames Lernen zu besseren Ergebnissen führt, wenn es mit moderner Pädagogik wie individueller Förderung verknüpft ist. Dass dies gewährleistet ist, dass Lehrer genug fortgebildet und Klassen klein genug sind, würde der Senat vor Reformstart garantieren. Ein fairer Schülerleistungsvergleich ist aber kaum machbar, weil die Lebensumstände der Kinder unterschiedlich sind.

Doch den Bürgern diese Argumentation auf Schlagzeilenebene zu vermitteln, ist mühsam. Man muss die Menschen dort abholen, wo sie sind. Man muss ihnen sagen, warum Bildung für alle wichtig ist, auch wenn wir in einer Konkurrenzgesellschaft leben.

Wird der Volksentscheid verloren, ist Hamburg zu dumm für eine kluge Schulpolitik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • ES
    Elisabeth Schleier

    Die Hamburger sind nicht dumm genug für die Primarschulreform, aber klug genug für eine gute Schulreform.

  • HD
    hamburger deern

    Großmut und Toleranz hat die Koaltion auf ihrer kurzen Reise durch die Hamburger Stadtgeschichte aus ihrem Reisegepäck geschmissen, um schneller in den Bahnhof der vollendeten Tatsachen einlaufen zu können!

    Wir Hamburger werden mit dem Volksentscheid als Stoppsignal in letzter Minute die Einfahrt in diesen Sackbahnhof verhindern.

    Die Angst vor einem möglichen Misserfolg der Primarschule hat Beust und Goetsch zu Imponiergehabe und paranoider Eile getrieben.

    Nicht die Primarschule an sich ist schlecht, sondern der katastrophal zwanghafte Weg einer intoleranten

    Koalition.

    Unterdrückung, Zwang und behördliche Gewalt gießen Öl ins Feuern der Kritiker.

    Pubertierende an langer Leine, gekonnt zu führen, gehört zum kno-how eines jeden Pädagogen, besonders wenn er mit Sachkenntnis überzeugen muss. Dieses Wissen angewandt auf die Hamburger hätte einer guten Schulreform den Weg geebnet.

    Lieber langsam zum Ziel als durch unvorsichtige Raserei aus der ersten Kurve getragen zu werden,um danach zerschellt auf dem Friedhof der Hamburger Schulreformen zu landen.

    Aber noch ist Zeit einen Gang zurückzuschalten und durch Toleranz die Schullandschaft in Hamburg zu bereichern.

  • E
    E.Pöhnert

    Sehr geehrte Frau Kutter,

    bitte holen Sie mich ab!

    Warum verwenden sie den Konjunktiv, wenn Sie von einer Garantie des Senats vor Reformstart sprechen?

    Sollen die Lebensumstände der Kinder verglichen werden oder die Leistungen der verschiedenen Schulformen?

    Danke für Ihre Nachhilfe! Dankbar wäre ich auch, für eine Quelleninformation hinsichtlich der erwähnten Expertenurteile.

    Mit freundlichen Grüßen

    E. Pöhnert

  • MJ
    Martina Juhnke

    Von welchen Schulstudien ist bitte die Rede? Auch wenn Experten und Frau Goetsch das immer wieder behaupten, GIBT ES KEINE Schulstudien, die beweisen, dass längeres gemeinsames Lernen in Deutschland (und da sind wir ja wohl) alle Schüler besser fördert! Genau deshalb hat WWL ja auch auf eine wissenschaftliche Begleitung und Leistungsfeststellung der Starter-Primarschulen bestanden, bevor sie als flächendeckender Schulversuch eingeführt wird. Und Frau Goetsch hat darauf entgegnet, dass es nach drei (!!!) Jahren noch nicht möglich sein wird, zu zeigen dass die Primarschulen besser sind - merkwürdig, nicht? Wo es doch angeblich Studien gibt????

    Das, was die Befürworter der Primarschulen tun ist aufgrund der Pisa-Studie (die aber eigentlich auch keine Studie, sondern eine Moment-Leistungsaufnahme ist) und bei der Finnland mit seiner Quasi-Einheitsschule regelmäßig als Sieger hervorgeht zu SCHLIESSEN das das doch auch in Deutschland klappen müsste - bewiesen (!) ist das aber NICHT!! Die finnischen Schulen arbeiten aber nicht (wie bei uns geplant) mit individualisiertem Unterricht, sondern mit vielen Lehrern (und Helfern wie Sozialpädagogen, Psychologen, kostenlosem Mittagessen!), kleinen Klassen (Klassen mit 25 Schülern sind NICHT klein!!) und damit, lernschwächere Schüler rechtzeitig und intensiv von kompetenten (!) Speziallehrern einzeln oder in kleinen Gruppen gezielt zu fördern, damit sie nicht den Anschluss verlieren. Außerdem zeigen die ersten Erfahrungen mit individualisiertem Unterricht, dass durchaus die Gefahr besteht, dass sich dadurch die Schere zwischen leistungsstarken und schwachen Schülern weiter öffnet und die Leistungssunterschiede sich noch mehr verstärken. Bei einer (bundesweit am höchsten) Abiturientenquote von 44% und einer gleichzeitigen Risikoschülerquote von bis zu 20% sind aber genau diese Leistungsunterschiede Hamburgs Problem!! In Brandenburg hat die im Jahr 2000 eingeführte, 6jährige Grundschule dazu geführt, dass sich bis 2006 die Wahrscheinlichkeit von Arbeiterkindern im Vergleich zu sozial „höher” gestellten Kindern bei gleicher Leseleistung auf ein Gymnasium zu kommen um das Dreifache verschlechtert während sich gleichzeitig der Anteil der Kinder aus den „oberen" Dienstklassen die auf ein Gymnasium gehen, statistisch signifikant (!) erhöht hat (nachzulesen z. B. unter www.bildungsklick.de)!!!! Wollen Sie DAS für Hamburg?? Und: lohnt es sich wirklich, für diesen Schulversuch (!!!) nicht nur unglaublich viel Geld in Umbauten und Benzin zu stecken anstatt es für Schüler, die kompetente (!) Förderung von Lehrern (NICHT von Mitschülern) brauchen zu verwenden UND die Arbeit der effektivsten Schulen in Hamburg, den Gymnasien, plus einigen erfolgreichen Gesamtschulen, zu gefährden indem man ihnen nochmal zwei Klassen wegnimmt bzw. sie in zwei Schulen spaltet bloß weil man Gymnasien aus Prinzip ablehnt???? Das ist KEINE kluge Schulpolitik, da muss es andere Lösungen geben - und niemand, der das nicht will ist deshalb dumm!

  • FP
    Fred Porsch

    @ KAIJA KUTTER :

    Da ich ein entschiedener Gegner der Primarschule/Einheitschule/Schule für alle bin, gehöre ich wohl zu den Tausenden von Hamburgern, die zu dumm für Sie sind.

    Vielen Dank für diese Beurteilung.

  • ED
    Ein dummer Vater aus Hamburg

    ist klar, dass die taz auf Seiten der Befürworter verortet werden muß.

    Das sie aber weite Bevölkerungsteile Hamburgs beleidigt, zeigt, welchen Stellenwert Bildung und somit auch Kultiviertheit in der Redaktion hat

  • IM
    Ina Müller

    Sehr geehrte Frau Kutter,

    Sie schreiben dass der Senat garantiert, dass die Klassen klein genug wären, um individualisiert zu unterrichten. Das ist leider falsch. Es werden in Hamburg nicht genügend zusätzliche Lehrer eingestellt, damit diese Reform auch nur ansatzweise erfolgreich werden könnte. Informieren Sie sich bitte darüber, wie viele zusätzliche Lehrer Hamburg einstellt. Sprechen Sie dann erneut mit einem Bildungsexperten ihrer Wahl. Auch Sie werden sehen, dass individualisierter Unterricht so leider nicht möglich ist. Vielleicht können Sie ja dazu beitragen, dass in Hamburg mehr Lehrer eingestellt werden. Das wäre doch toll!

    Herzlichen Dank im Voraus!

    Mit freundlichen Grüßen

    Ina Müller

  • H
    HEFGS

    So einen bornierten Journalismus findet man selbst in der TAZ nicht häufig. Frau Kutter hat offensichtlich nicht verstanden, worum es in der Sache geht. Statt mit Fakten zu argumentieren, beleidigt sie Bürger, die anders denken als sie. Nochmal ganz langsam: Längeres Lernen an der selben Grundschule bringt keine besseren Ergebnisse. Es kommt auf die Inhalte statt auf die Struktur an. In Hamburg soll über eine Milliarde Euro für Grundschulerweiterungsbauten ausgegeben. Leider ist dann kein Geld mehr für inhaltliche Maßnahmen da. Kleinere Klassen sind nicht verbindlich geplant (im neuen Gesetz sind nur Soll-Vorschriften genannt, rechtlich völlig unverbindlich), mehr Lehrkräfte werden nicht eingestellt. Die Mehrzahl der Lehrkräfte kann die neuen geforderten Unterrichtsmethoden nicht, soll aber nach ausdrücklicher Aussage eines Behördenvertreters nicht fortgebildet werden. Die zunehmende Heterogenität in den Klassen 5 und 6 kann damit nicht aufgefangen werden. Um die Schwächeren nicht zu verlieren, muss eine Anpassung nach unten erfolgen. Die durchschnittlichen und insbesondere die guten Schüler werden massiv unterfordert. Und das ist sozial gerecht ?

     

    Fazit: nicht Hamburg sondern Frau Kutter ist zu dumm. Zu dumm, um diese Zusammenhänge zu verstehen.

  • UO
    Ulf Ohms

    Aber welche Studien meinen Sie bloß? Es gibt nicht eine einzige Studie, die belegen würde, dass längeres gemeinsames Lernen die behaupteten Effekte haben wird. Stattdessen wird immer derselbe Mythos bemüht, den Sie hier dankbar aber leider journalistisch schlecht ebenfalls aufgreifen.

     

    Noch viel schlimmer ist aber, dass Sie eine große Zahl Hamburger (die genaue werden wir ja nun im Juli wissen) als dumm darstellen, nur weil sie eben nicht von Behauptungen überzeugt sind und sich nicht mit Versprechungen abspeisen lassen.

    Wir haben die freiwillige Einführung der Primarschulen auch deswegen vorgeschlagen, damit die Befürworter ihre Schulform anwählen können. Wir erwarten nicht mehr und nicht weniger Freiheit.

  • CB
    Carsten Bittner

    Die Behauptung, Experten hätten die Überlegenheit des Primarschulsystems bei den Lernergebnissen festgestellt, wird durch ständige Wiederholung nicht richtiger. Ein kurzer Blick in das Protokoll der Expertenanhörung des Schulausschusses der Hamburger Bürgerschaft zeigt, dass nicht einmal die von Schwarz-Grün geladenen Primarschulbefürworter eine derartige Feststellung treffen konnten und wollten.

  • HH
    Hergen Hillen

    Es wäre zu kurz gegriffen, von Dummheit zu sprechen. Es gibt in Hamburg ein bürgerliches Protestpotenzial, das für die etablierten Parteien zu einer unkalkulierbaren Größe geworden ist und das sich jeglichen Reformen widersetzt, die Besitzstände und den eigenen sozialen Status gefährden. Scheinbar lässt sich dieses Protestpotenzial mehr für Kinder- und Jugendgefängnisse (siehe Feuerbergstraße) begeistern als für gleiche Bildungschancen jenseits von Stand und Klasse. Diese Erfahrung muss nun auch die CDU machen, für die es vor ein paar Jahren noch ein leichtes Spiel war, die Protestwähler aus der Schill-Partei einzufangen. Im Zusammenhang mit der Primarschule haben vor allem die Bürgerschaftsparteien ihren Teil zu dieser Misere beigetragen: einerseits zwei Oppositionsparteien, die eigentlich für die Primarschule sind, sich aber allein aus parteitaktischen Gründen nicht eindeutig für eine Zusammenarbeit mit den Senatsparteien durchringen konnten; andererseits zwei Senatsparteien, die es in etwas überheblicher Art und Weise nicht für notwendig hielten, die Opposition für die an sich gute Idee zu gewinnen. Hinzu kommt eben auch, dass die Haltung der CDU außerhalb des Senats wie ein Eiertanz erscheint, der die eigenen Anhänger bis heute nicht zu überzeugen vermag. So hätte man mit einem parteiübergreifenden Konsens zumindest skeptische SPD-Wähler für die Primarschule gewinnen können, die sich allein aus Prinzip der Intiative WWL angeschlossen haben dürften.

    Eine solche Gemengelage aus rein parteitaktischen Interessen ist, das hätte auch Christa Götsch wissen müssen, ein gefundenes Fressen für Populisten und insbesondere für die Springer-Medien, die mittlerweile darin geübt sind, dem bürgerlichen Protest in Hamburg eine Bühne zu bieten. Nun besteht hinlänglich die Gefahr, dass man die Geister, die man gerufen hat, wohl nicht mehr so schnell wieder loswird. Ronald Barnabas Schill lässt grüßen.

  • P
    panos

    Zitat:

    "

    Dabei sagen Experten, dass längeres gemeinsames Lernen zu besseren Ergebnissen führt, wenn es mit moderner Pädagogik wie individueller Förderung verknüpft ist.

    "

     

    Lesen bildet:

    http://www.lehrerverband.de/grundsch.htm

     

    Lt. der Berliner ELEMENT-Studie verlieren die Kinder mit dem neuen Modell 2 Jahre. Das kann mit keiner individuellen Förderung kompensiert werden.

     

    Und wie eine echte(!) individuelle Förderung finanziert werden soll, ist ebenfalls berichtenswert.