Der Fall Baby Lara: Streit um Expertenbericht

Nach Akteneinsicht wirft SPD-Politikerin dem Senat Beschönigung vor. Polizeiberichte wiesen auf Zustand des Kindes hin. Staatsanwaltschaft klagt Betreuerin an.

Trauer um Lara: Um den Pflegezustand des Babys streitet sich jetzt die Politik Bild: dpa

Der Hungertod der neun Monate alten Lara jährt sich in drei Wochen zum ersten Mal. Juristisch ist der Fall noch nicht aufgearbeitet, politisch noch immer brisant. Die SPD-Fraktion studiert seit Mitte Januar die Akten. "Es wurde vertuscht und verharmlost", sagt die Abgeordnete Carola Veit. Derweil streiten sich Amtsgericht und Staatsanwaltschaft um die Frage, ob die Betreuerin, die in der Familie war, auf die Anklagebank gehört.

Das Baby wog bei seinem Tod 4,8 Kilo, die Hälfte des altersgemäßen Körpergewichts. "Aus unserer Sicht war für jeden augenfällig, dass Lara in einem schlimmen Ernährungszustand war", sagt Staatsanwaltsprecher Wilhelms Möllers. Deshalb klage man Sozialarbeiterin K., die zuletzt acht Tage vor dem Tod in der Wohnung war, wegen "Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen" an. Doch das Amtsgericht Harburg lehnt es "aus rechtlichen Gründen" ab, das Verfahren zu eröffnen. Dagegen legt die Staatsanwaltschaft jetzt Beschwerde beim Landgericht ein.

Wie augenfällig das Leiden des Mädchens war, darum streitet auch die Politik. CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich hatte im April 2009 einen Expertenbericht veröffentlicht, in dem es unter Bezugnahme auf Ermittlungsbeamte heißt: "Lara sei in einem guten Pflegezustand gewesen. Von Verwahrlosung im herkömmlichen Sinne könne man nicht sprechen". Die Beamten hätten "Nahrungsmittel für Babys" vorgefunden. Im Bett habe ein Fläschchen gelegen.

Lara starb am 11. März 2009, sie war auf 4,8 Kilo abgemagert.

Die Eltern sind wegen eines Tötungsdelikts angeklagt.

Die Betreuerin verweigert die Aussage. Ob sie angeklagt wird, entscheidet jetzt das Landgericht.

Mitarbeiter des ASD trifft laut Staatsanwaltschaft keine Schuld.

Erste Konsequenzen: Der ASD-Wilhelmsburg erhielt sechs neue Stellen. Sozialarbeiter müssen Hausbesuche protokollieren.

Für die SPD-PolitikerInnen Carola Veit und Thomas Böwer stellt sich nach Ansicht von Fotos, Polizeiberichten und Obduktionsbericht ein anderes Bild dar. "Lara war eindeutig nicht in einem guten Pflegezustand", sagt Veit. Nach Aussage der Polizisten habe es nach Fäkalien gestunken. Auch war das Kinderbett verdeckt, nicht bezogen und fleckig und das Zimmer voller Mülltüten und schmutziger Windeln. Das Fläschchen war leer. Und abgemagert habe Lara schon auf älteren Fotos ausgesehen.

Böwer kritisiert, dass Informationen mit dem Verweis auf den Sozialdatenschutz fehlten. Etwa ein Bericht des Trägers Rauhes Haus, in dem steht, wie oft die Sozialarbeiterin in der Wohnung war. Der frühere Staatsrat Detlef Gottschalk hatte den Fall im Auftrag des Trägers untersucht. Das Schriftstück fehlt in den Akten ebenso wie Angaben des Bezirks Mitte zur schlechten Personallage beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD). "Die ASD-Mitarbeiter in Wilhelmsburg hatten eine kollektive Überlastungsanzeige gestellt", sagt Bezirkssprecher Lars Schmidt. "Die Behörde hat daraufhin gesagt, kümmert euch nur um die gravierenden Fälle." Im Wersich-Bericht vom April heißt es dagegen, eine "ordentliche Arbeit" sei beim ASD möglich gewesen. Seither streiten Bezirkschef Markus Schreiber und Wersich um diesen Passus. Laut Schmidt gibt es nun einen neuen Expertenbericht, der die Bezirkssicht enthält. "Es fehlt nur noch die Unterschrift des Senators."

Dessen Sprecherin Julia Seifert bestätigt: "Es wird daran gearbeitet." Den Vorwurf der Beschönigung weist sie zurück. Die Einschätzung des Pflegezustands gebe die Angaben der Rechtsmedizin wider, wonach das tote Baby sauber war, geschnittene Fingernägel hatte und nicht unter Pilzbefall litt.

Die vorgelegten Akten enthielten "mehr Details" als der Expertenbericht. Diese könnten nun "aus dem Zusammenhang gerissen werden, um Behauptungen zu konstruieren".

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