Doku über "Musikantenstadl"-Gucker: 70 Minuten in der Spießerhölle
"Stadlfreunde" (am 27. 2. um 22.20 Uhr auf BR) schafft es nicht, die Klischees zur volkstümlichen Musik auszuräumen - was an der Musik liegt, nicht an der Dokumentation.
Zum Glück ist es nur ein kurzer Moment, wenn der blecherne Sound des "Musikantenstadls" einsetzt. Reflexartig schalten wir weg, bevor uns vor lauter Fremdscham der Würgereiz packt. Aber angesichts der Quoten, des prominenten Sendeplatzes und der prall gefüllten Hallen, in denen das Spektakel etwa sechsmal jährlich stattfindet, stellt sich die Frage: Wer schaut und vor allem hört sich den Schrott eigentlich an? Woher diese Massenbegeisterung?
Die Regisseurin Frauke Ihnen hat sich diese Frage gestellt und da hingesehen, wo es wehtut. Sie hat in "Stadlfreunde" fünf eingefleischte Fans begleitet und dabei auch einen Blick hinter die Kulissen geworfen. Die Antworten sind nicht überraschend: Gusti und Helmut aus Niederösterreich, Harald und Lydia aus Leipzig sowie Friedrich, ein evangelischer Pfarrersanwärter, wollen "dem Alltag entkommen", "ihre Sorgen vergessen" und inmitten der Bierzeltatmosphäre eine "schöne Zeit verbringen". Wer sind diese Menschen? Was bewegt sie dazu, so viel Zeit und Geld zu investieren, dem umherziehenden "Stadl" nachzureisen, um ihre "Stars" zu erleben?
Über ein Jahr lang hat die Regisseurin dafür die Protagonisten in ihrem Alltag begleitet, ihnen beim Heimsport, Spazierengehen und Katzefüttern zugesehen. Die Szenen sind nicht nur ziemlich nichtssagend, sondern auch gezeichnet von einer gleichbleibend großen Distanz zwischen Kamera und Protagonisten. Nicht einmal nach mehreren Stamperln Obstler in Helmuts Hobbykeller vergessen sie, dass die Kamera sie beobachtet. In zwei, drei Szenen diskutieren die Freunde ein wenig bemüht über kritische Fragen. Was wirft man dem "Stadl" eigentlich vor, fragen sie sich. Das Vollplayback, die Seichtheit der Unterhaltung? Nein, sind sie sich schnell einig, daran kann doch eigentlich nichts schlimm sein. Tja. So wird Frauke Ihnens ihrem Anspruch, das Phänomen zu erklären, nicht wirklich gerecht.
Sie selbst sagt: "Auf jeden Fall sehe ich den ,Musikantendstadl' jetzt mit anderen Augen". Für den Zuschauer wohl schwer zu begreifen, immerhin hat sich nach rund 70 Minuten Volksmusikgedöhns jedes Klischee bestätigt. Dumpfes Klatschen auf Kommando, billige Musikarrangements, Spießigkeit, wie sie nicht einmal die berühmten Gartenzwerge im Schrebergarten übertreffen. Zeitweise langweilt der Film auch mit endlosen Aufbauszenen der Kulisse. Wir sind dabei, wenn die gestressten Aufnahmeleiter kettenrauchend vor einer Holzscheune die heile Welt drapieren lassen, mit tiefen Augenringen Anweisungen auf Österreichisch näseln, wenn eine 08/15-Karnevalsdeko für Senioren-Après-Ski-Stimmung sorgen soll. Am Ende der Veranstaltung stürzen sich die "Stadl"-Besucherinnen auf die Blumendeko, um so viele Orchideenstöcke und Liliensträuße wie möglich zu ergattern. Dazwischen immer wieder die unerträglichen, computerproduzierten Melodien.
"Als ich ein kleines Mädchen war" ist eines der Lieder, das den Zuschauer über den Film weg begleitet. Mit leicht wackeliger Stimme und fest ins Gesicht emailliertem Lächeln singt Nachwuchsstar Birgit ihr Lied über Träume und Märchen, mit dem sie hofft, in die Reihen der etablierten "Stadl"-Stars aufgenommen zu werden. Wie immer wird folgsam geklatscht, doch am Ende belegt sie nur Platz fünf. Noch tragischer wirkt jedoch das Bekenntnis von Friedrich, dem Pfarrer in spe. Als Außenseiter habe er sich schon immer am Rand positioniert. Daher seine Begeisterung fürs "Stadl". Wer ist also das Publikum? Senile und Debile? Wohl eher unfreiwillig macht der Film so das Vorurteil zum Urteil. Unter ethnologischen Gesichtspunkten ein gruseliges, aber spannendes Thema.
Leser*innenkommentare
Andrea
Gast
Hallo,
auch ich habe mir diesen Film angeschaut.
Sicherlich war er ab und zu langweilig doch im grossen
und ganzen war er doch interessant.
Ich bin Volksmusik und Schlagerfan,schaue mir aber auch
Pop und Rocksendungen an.
Ich verstehe es nicht ganz das sie Volksmusik/Schlagersendungen wie zb.den Stadl so runter macht.LEBEN UND LEBEN LASSEN!!!
Jeder kann doch anschauen was er will.
mfg Andrea
Florian Silbereisen
Gast
Gönnt ihnen die 70 Minuten in denen sie sich eine Auszeit von der stetigen Bedrohung durch den Sozialismus nehmen können. ;)
denninger
Gast
Och, da hat es die Sunny Riedel aber den "Spießern" mal so richtig gezeigt.
Das Niveau ihres "Artikels" ist mit Sicherheit weit niedriger als das einer "Musikantenstadels".
Alles was aus Bayern kommt (gell, liebe Sunny) ist eben großmäulig und derb (SCNR).
Genau so wie der
denninger
Lieschen Müller
Gast
Ich bekenne mich hiermit ausdrücklich zum gelegentlichen Stdtl-schaun!
Einfach den Ton abschalten und das ganze mit eigener Musik karrikieren (z.B. Motorhead), schon klatschen alle fröhlich mit und "die Band" erfreut mit selig Grinsender aggressiver Gelassenheit.
Dazu werden einem oft auch noch recht schöne Landschaftsaufnahmen geboten.
So hat man das Fremdschämen elegant umgangen und einen netten Fernsehabend!
Aber Obacht, liebe Freunde, funktioniert nicht bei Wetten Dass!
der fan
Gast
auch nix anderes als tokio hotel oder dsds -
nur in gelb
hölle hölle hölle
babsi
Gast
vil, hier gehts um eine filmbesprechung nicht darum das wort spießig zu erklären...
ich hätte mir den film angeschaut in der hoffnung dort eine erklärung zu finden wieso menschen musikantenstadl schauen. dank sunnys filmbesprechung werde ichs nicht tun, denn den der film scheint alles in allem lahm zu sein. also sunny danke für die besprechung so kann ich meine zeit mit interessanterem verbringen und vielleicht was über geschlechternormen lesen...
weiter so !
babsette
Sebastian
Gast
Na etwas mehr Toleranz hätte ich schon von der taz erwartet ;)
vil
Gast
also, wenn es mir schon gelungen ist, mich bis zur letzten Zeile dieser Besprechung durchzuquälen, wird es nicht schaden, mir die Doku anzuschauen.
Werte (r?) Sunny, wenn dir der Film schon nicht gefallen hat, hättest du dem Leser weiterhelfen sollen, statt in gleicher Manier mit Plattitüden um dich zu werfen.
Nur ein Beispiel, du schreibst: " Spießigkeit, wie sie nicht einmal die berühmten Gartenzwerge im Schrebergarten übertreffen". Wahnsinn, ich lerne also, die Spießigkeit von Stadlfreunden entspricht doppelplusGartenzwergfreund.
Ich fühle mich bestätigt, habe aber leider nichts gelernt. Dabei wäre ich so gern dem Wesen der Spießigkeit und des Spießertums ein Stück näher gekommen.
Wie ich es gemacht hätte? Ich hätte unter den Titel
"70 Minuten in der Spießerhölle" das Foto einer IKEA-Werbung gesetzt, mehr nicht. Dann hätte ich einfach auf die Kommentare der geneigten Leser gewartet. Und wir wären eine Antwort vielleicht ein Stück gekommen.
Servus
vil