Die Zu-kurz-Gekommenen

Nicht gegendarstellungsfähig (XXVIII): Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen. Heute: Richterliche Erpresser

Es gibt sie, die anständigen Strafrichter, die den Fall von sich aus aufklären und die Unschuldsvermutung beachten. Daneben gibt es aber auch faule Säcke, die jede Mühe scheuen.

Angeklagte, die nicht anständig verteidigt werden, lernen schnell deren unnachsichtige Strenge kennen. Bewaffnet sich einer mit einem wehrfähigen Verteidiger, streichen sie alsbald die Segel und einigen sich arbeitssparend auf ein für alle Seiten erträgliches Ergebnis. Andere erpressen „Wohlverhalten“ mit dem „Angebot“ einer Alternative, etwa zwei Jahre auf Bewährung bei Geständnis und Rechtsmittelverzicht, sechs Jahre bei streitiger Verhandlung (Landgericht München, Aufhebung durch den Bundesgerichtshof).

Daneben gibt es Richter, die die unauslöschbare Überzeugung gewonnen haben, zu kurz gekommen zu sein. Zu kurz an Einkommen, zu kurz an Karriere, zu kurz an Anerkennung und Prominenz, zu kurz an Erfolgserlebnissen, zu kurz an Lebensglück. Diese Sorte Richter hilft sich in beeindruckender Weise selbst: Sie machen die Fiskalinteressen des Staates zu ihrer Sache.

Wer bei ihnen angeklagt wird, darf auf keinen Fall freigesprochen werden. Denn dann würden die Anwaltsgebühren vom Staate zu ersetzen sein. Da wird dann an einem Sachverhalt so lange rumgebosselt, der Angeklagte so lange mit weiteren Verhandlungstagen und anderen Widrigkeiten bedroht, bis er sich zu einem faulen Kompromiss (Einstellung wegen geringer Schuld unter Übernahme der eigenen Anwaltskosten) breitschlagen lässt.

Ich fiel so einer Type letzte Woche in die Hände: Der Angeklagte hatte an einen Motorroller einen neuen Auspuff gebaut. Der Tacho zeigte vorher und hinterher deutlich über 50 km/h, obschon er bauartbestimmt nur 50 fahren sollte. Dem Manne wurde vorgeworfen, an dem Ding manipuliert zu haben, also ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein. Er konnte nachweisen, dass der neue Auspuff eine Fahrzeugzulassung hatte.

Der Gutachter bestätigte, dass keine Manipulation zu finden war, und dass es vorkommt, dass so ’n Roller 60 fährt. Das hätte ein glatter Freispruch werden müssen. Der Richter wand sich, drohte mit Fahrlässigkeitsfeststellungen (der Angeklagte hatte unwiderlegt erklärt, dass ihm der Händler auf entsprechende Nachfrage gesagt hatte, dass die Tachometer häufig 10 bis 20 Prozent vorgehen).

Als ich bei der Protokollführerin ein Blatt Papier für das Stellen eines Beweisantrages erbat, wies der Mann mich auf die Armut der Justiz hin und darauf, dass ein Anwalt für seine Arbeitsmittel selbst zu sorgen habe. Mein Einwand, dass das Gesetz vorsieht, dass ich meinen Antrag auf justizeigenem Papier unter Inanspruchnahme einer justizeigener Schreibkraft zu Protokoll geben könne, half ihm nicht. Dem Angeklagten war all dies so unangenehm, dass er nachgab und sich fügte. Figuren wie dieser Richter treten ansonsten unbescholtenen Bürgern gegenüber, denen Verkehrsverstöße zur Last gelegt werden. Sie sind das Aushängeschild der Justiz.

Unser Autor ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Berlin.