Frische Croissants für Deng Xiaoping

Ob Hörnchen, Brot, Kaffee oder Hamburger: Die Chinesen sind von westlichen Lebensmitteln und Getränken begeistert, lieben McDonald’s – und konsumieren doch auf sehr asiatische Weise

„Ich liebe den Stil westlicher Restaurants, nichtdas Essen“Nur „Barbaren“ schneiden mit dem Messer inblutiges Fleisch

AUS PEKING GEORG BLUME
UND QIANG ZHAOHUI

Nach vier Jahren Auslandsdienst kehrte Wang Hao, ein 34-jähriger chinesischer Diplomat, nach Peking zurück. Als er am Morgen, wie gewohnt, frühstücken gehen wollte, fiel ihm auf, dass in seiner Umgebung drei neue Kaufhäuser und ein neuer Supermarkt eröffnet hatten. Das überraschte ihn nicht sonderlich, weil ihm Peking seit zwanzig Jahren wie eine einzige Baustelle erscheint. Doch dann war Wang fast schockiert: All die kleinen Frühstücksstände in seiner Nachbarschaft waren verschwunden. Nur ein neues Starbuck’s-Café hatte bereits geöffnet. Wo aber gab es sein Lieblingsfrühstück „Youtiao“?

Die in Öl golden gebackene Mehlstange gehört zum vornehmen chinesischen Frühstück. In der Mao-Zeit konnte sich diese Spezialität kaum eine Familie leisten. Verwirrt rief Wang seinen Nachbarn an, um nach einem Youtiao-Laden zu fragen. Der lachte ihn aus: „Wer isst heute denn noch Youtiao? Alle essen zum Frühstück Brot.“

Was der Nachbar sagte, stimmt zwar nicht ganz, weil Chinas Bauern, die über 60 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, zum Frühstück natürlich kein Brot essen. Aber in gewisser Hinsicht hatte er doch Recht. Vor allem die jungen Leuten in der Großstadt bevorzugen heute westliches Frühstück. Traditionelles chinesisches Frühstück wie „Mantou“ (chinesisches Dampfbrötchen), Reissuppe oder eben Youtiao ist out, Brot und Milch sind in. Denn Brot schmeckt besser als Mantou, und das Kochen einer Reissuppe kostet Zeit. Das westliche Frühstück ist dagegen einfacher und praktischer.

Brot ist in China ein Lebensmittel der neuen Supermarktkultur. Wer es sich leisten kann, verzichtet auf den Einkauf auf verstaubten Märkten und geht in saubere Suupermärkte. In vielen davon gibt es sogar Bäckereien, die das Brot frisch backen. Oft gehören die Bäckereien zu einer Ladenkette, und fast alle tragen westliche Namen wie Holiland oder Sophie.

Sie bieten die verschiedenen Brotsorten an – Toast, Baguettes, Croissants, welche von den Chinesen „Büffelhörner“, Niujiao, genannt werden. Die Produkte gelten vielen als Symbol für Chinas Öffnung zum Westen, denn jeder weiß, dass Deng Xiaoping, der die Öffnungspolitik einst begründete, Croissants liebte.

Allerdings präferieren die Chinesen geschmackliche Adaptionen der Originale. Als der junge chinesische Filmmacher Lu Chuan in diesem Jahr von der Berlinale zurückkehrte, bemerkte er enttäuscht: „Das Brot in Deutschland schmeckt nicht. Es ist zu hart.“ Die Chinesen essen lieber weiches und süßes Brot.

Das Faible für Brot ist nur ein Beispiel dafür, wie westliche Gewohnheiten allmählich klassische chinesische Konsum- und Ernährungsgewohnheiten infiltrieren.

„Shala“, die chinesische Übersetzung für Salat, gilt bereits als chinesische Vorspeise. In der traditionellen chinesischen Küche aß man wenige Gemüsesorten roh. Salat wurde erstmals vor zwanzig Jahren nach China eingeführt. Inzwischen aber glauben viele Chinesen, dass es gesünder sei, Gemüse roh zu essen, weil es beim Kochen an Nährstoffen verliere.

Milch ist ein anderes Beispiel, wobei es sich beim Verzehr von Milch eher um eine Vernunftangelegenheit handelt. In der Zeit der Kulturrevolution bekam man Milch nur gegen Bezugsscheine. Jede Familie durfte maximal zwei Flaschen Milch am Tag kaufen, weniger als einen halben Liter. Das Produkt galt als eine Art Heilgetränk für Babys, Kranke und Alte. Inzwischen sind der chinesischen Milchproduktion keine Grenzen mehr gesetzt. Aber der Konsum stieg zunächst relativ langsam. Selbst Ernährungswissenschaftler beteiligten sich an staatlichen Werbekampagnen für höheren Milchverbrauch. Sie erklärten, wie wichtig die Milch wegen des hohen Kalziumgehalts für die Gesundheit sei, und warnten, dass die durchschnittliche Körpergröße der „kleinen Japaner“ bald jene der Chinesen überschreiten würde, was in erster Linie dem höheren Milchkonsum in Japan zu verdanken wäre. Die Propaganda verfehlte ihre Wirkung nicht. Seit Ende der Neunzigerjahre hat sich der Milchkonsum in China verdoppelt. Doch wenige Chinesen würden sagen, sie tränken Milch gern.

Insgesamt aber erlebt der westliche Geschmack in China gerade bei Getränken einen Siegeszug. Vom Supermarkt in der Hauptstadt bis hin zum kleinsten Dorfladen sind die Getränkeregale voll mit Coca-Cola, Pepsi, Red Bull, Eistee, Orangensaft, Mineralwasser und Bier. Nur Bier war auch früher schon erhältlich. Sonst gab es Tee oder heißes Wasser. Heute stillen die Chinesen, die einst die Europäer das Teetrinken lehrten, ihren Durst fast nur noch mit westlichen Getränken.

Eine Ausnahme macht Kaffee. Für viele Chinesen ist es schwer, sich an den bitteren Geschmack zu gewöhnen. Kaffee ist in konventionellen Geschäften nicht erhältlich, und kaum ein Chinese weiß, wie das Getränk zubereitet wird. Diplomat Wang musste früher chinesischen Delegationen, die er durch Europa begleitete, immer wieder ins Ohr flüstern, dass sie Kaffee nicht wie Suppe löffeln sollten.

Auf gewisse Weise ist Kaffee in China aber inzwischen trotzdem populär geworden: Denn er ist ein Symbol für das moderne Leben und ein Modegetränk des wachsenden Mittelstandes, den man in China „Bai Ling“ (weißer Kragen) oder „Xiao Zi“ (kleine Bourgeoisie) nennt. Zu dieser Gruppe zählen meist junge Leute, die bei großen, oft ausländischen Unternehmen arbeiten. Sie trinken im Büro löslichen Kaffee und gehen nach Feierabend in ein Starbuck’s-Café, von denen sich in Peking fast an jeder Ecke eines findet. Hier kennt jeder den Spruch: „Wenn du mich suchst, ich sitze im Starbuck’s oder bin gerade auf dem Weg dorthin“.

Starbuck’s ist nur ein Beispiel für die Stärke der Amerikaner in der chinesischen Gastronomie. Längst ist auch Fast Food in China allgegenwärtig: Praktisch jedes Provinznest verfügt über eine Filiale von McDonald’s, KFC oder Pizza Hut. Und wie in anderen Ländern sind vor allem die Kinder von den Burgern oder Pizzaschnitten begeistert. Die Elterngeneration plagen indes bereits dieselben Sorgen wie jene in den USA oder Europa: Schon hört man Kritik am American Fast Food. Man nennt es „Abfallessen“ und schiebt ihm die Schuld am Übergewicht vieler chinesischer Kinder zu.

Andererseits hat die chinesische Gastronomie, die früher den Begriff „Fast Food“ gar nicht kannte, viel von den Amerikanern gelernt: Einfachheit, Hygiene, konstante Qualität und modernes Management. Heute findet man allenthalben saubere Lokale, und in jedem Kaufhaus gibt es eine Imbissstraße.

Die konventionelle westliche Küche, die auf Chinesisch „Xi Can“ heißt, hat dagegen sehr beschränkten Einfluss. Westliche Restaurants werden meist nur von Chinesen besucht, die länger im Ausland gelebt haben.

Viele kennen zwar Gerichte wie Beefsteak oder Spaghetti dem Namen nach, aber sie haben sie selten selbst gekostet. Für Normalbürger ist das westliche Essen schlicht zu teuer. Im „Paulaner“-Restaurant im Lufthansa-Zentrum in Peking kostet ein Gericht wie Bratwurst mit Kartoffeln rund zehn Euro. Das entspricht dem Zweitageslohn eines Arbeiters.

Doch auch die Reichen sind selten wahre Anhänger westlicher Küche. Sie gehen in westliche Lokale, weil sie zeigen wollen, dass sie geschmackvolle Menschen sind. Dabei spielen weniger kulinarische Erwägungen eine Rolle als der moderne Lebensstil. „Ich liebe die stilvolle und bequeme Atmosphäre im westlichen Restaurant, schöne Tischdecken, feines Geschirr, Kerzenlicht, Rotwein“, sagt Hao Han, ein 37-jähriger Angestellter einer chinesischen Handelsgesellschaft. „Aber das Essen schmeckt mir nicht besonderes. Es ist einfach und eintönig.“

Das ist die typische Meinung zur westlichen Küche: Die Form ist schön, der Inhalt langweilig. So betrachtet man sie zwar als Symbol modernen Lebens, verspottet die Westler aber als „Barbaren“, weil sie mit dem Messer blutiges Fleisch essen.

Die Chinesen sind allerdings lernbereit. Sie nennen sich gern „die das Essen am meisten liebende Nation“. Sie haben ein Faible dafür, ständig neue Essgenüsse entdecken zu wollen. Das führt so weit, dass sie gelegentlich auch Schlangen und Heuschrecken essen. Umso weniger wird man sie davon abhalten können, ihre Geschmacksgelüste in Zukunft noch öfter mit Spezialitäten aus dem Westen zu stillen.

Ohnehin haben Youtiao und Croissants viel gemeinsam, meint Diplomat Wang: An beiden Teigwaren träufelt Fett, beide sind weich, beide tunkt man am besten in Milch oder Sojamilch. So einfach kann kulinarische Harmonie sein.