die taz vor sieben Jahren: über die ersten wochen der rot-grünen republik
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Woher kam, bleibt noch zu fragen, eigentlich die beachtliche Startenergie, die in der Schröder- Equipe entfesselt wurde? Vom kräftigen Abstoßen, denke ich, wie beim Schwimmsport. Abstoßen von wem oder was? Von Kohl und der CDU? Ach was, man weiß ja schon gar nicht mehr richtig, wer das war, so rasch ist deren Ära in der Versenkung verschwunden. Der energiespendende Kontrast ist woanders zu suchen. Wenn die neuen Minister gleich losgerast sind, dann nicht, um Abstand zur CDU zu gewinnen, sondern zu sich selbst und zu den Idiosynkrasien, mit denen sie immer noch assoziiert werden. Bloß nie mehr Grüne sein, die man unglücklicherweise einmal gewesen ist!

Das muß aber auch gezeigt werden, und womit anfangen, wenn nicht mit der beherzten Zustimmung zu dem energiepolitisch und ökologisch unsinnigsten Projekt, das man sich in diesem Land hat ausdenken können, dem Braunkohleabbau Garzweiler II? Die mit ungeheurem Energieaufwand aus der Erde gekratzte Braunkohle hat bekanntlich den schlechtesten Energienutzungsgrad, und der mit ihr erzeugte Strom läßt sich auch nur eingeschränkt im Grundlastbereich verwenden, wie ich mir von einem Experten habe erklären lassen. Doch vorwärts und alles vergessen!

Das Boot ist voll, sagt sinngemäß mit Blick auf im Mittelmeer herumpaddelnde Kosovo-Albaner und andere schlechte Schwimmer Innenminister Schily, der bereits zu Zeiten Kohls mit seinem Plädoyer für den großen Lauschangriff eindrucksvoll durchgestartet war, Abstand zu alten Freiheits- und Persönlichkeitsideen gewinnend: Indem er nun die gleiche Sprache gebraucht wie anno 1940 die Schweiz, die vor den Nazis Geflohene nicht im Land haben wollte, gibt er zu verstehen, daß er auf gutem Weg ist, zum fortgeschrittenen Stand subtilen Schröderschen Geschichtsbewußtseins aufzuschließen. Es bewegt sich etwas im Land – was soll daran enttäuschend sein?

Lothar Baier, taz, 21. 11. 1998