Homophobie im Fußball: "Ich wollte kein Versteckspiel mehr"

Die Schwulenfeindlichkeit im Fußball ist mit dem Fall Amerell erneut sichtbar geworden. Der schwule hannoversche Schiedsrichter Hans-Jürgen Gurtowski fordert vom DFB greifbare Aktionen gegen Homophobie.

Kein Zweifel besteht darüber, dass es im Profifußball schwule Spieler und Schiedsrichter gibt. Aber die sehen noch keine andere Chance, als sich wegzuducken. Bild: dpa

taz: Wie sind Sie Schiedsrichter geworden?

Hans-Jürgen Gurtowski: Als Jugendtrainer vor 30 Jahren in Bremen habe ich mich immer über die Schiris geärgert. Entweder sie kamen gar nicht oder haben schlecht gepfiffen. Da habe ich mich selbst ausbilden lassen. Mit 21 war ich relativ spät dran, deshalb habe ich es dann auch nur bis zur Bremer Verbandsliga und Niedersachsenliga gebracht.

Haben Sie sich als Schiedsrichter von Anfang an dazu bekannt homosexuell zu sein?

Ich habe mich mit 40 Jahren geoutet, nachdem ich mich in meinen Lebensgefährten verliebt und entschieden hatte, kein Versteckspiel mehr zu betreiben. Auch im Fußball nicht. Aber ich schreibe mir das natürlich nicht hinten auf den Rücken.

Haben Sie denn nach Ihrem Outing in Fußballer-Kreisen unangenehme Reaktionen erlebt?

Der Schiedsrichter Michael Kempter wirft dem ehemaligen Schiedsrichtersprecher Manfred Amerell vor, ihn sexuell bedrängt zu haben.

E-Mails, die auf eine einvernehmliche Beziehung hindeuten, legt Amerell vor - und sein Amt nieder.

DFB-Präsident Theo Zwanziger stellt sich auf die Seite Kempters und präsentiert Erklärungen von vier weiteren Referees, die sich von Amerell belästigt fühlten.

Amerell stellt Strafanzeige wegen Verleumdung und erhebt Vorwürfe gegen Zwanziger. Der DFB kündigt eine Klage gegen Amerell wegen Verleumdung an.

Nicht unmittelbar. Aber später habe ich erfahren, dass man mir keine jungen Assistenten mehr an die Seite stellen wollte, weil man Angst hatte, ich würde die vernaschen. Aber davon ist man schnell wieder abgerückt. Auf dem Platz habe ich keine negativen Reaktionen erlebt, die meisten wissen das ja auch gar nicht.

Wäre es denn im Profifußball möglich, dass ein Schiedsrichter so offen mit seiner Homosexualität umgeht?

Momentan noch nicht. In Stadien mit zigtausend Zuschauern wäre der Druck zu stark. Der einzige bekannte Schiedsrichter, der sich zu seinem Schwulsein bekannt hat, war der Holländer John Blankenstein. Der sollte bei der WM 1990 pfeifen, wurde aber von der Fifa wieder zurückgezogen, weil er angeblich Jahre zuvor in Fifa-Uniform in einer Schwulenbar gesehen worden sei. Im Fußball wird Schwulsein mit Schwäche gleichgesetzt.

Oft wird Schwulenfeindlichkeit ja hauptsächlich als Problem der Fankurve dargestellt.

Das durchzieht den ganzen Fußball. Nehmen wir den Fall, ich wäre Jugendtrainer und man würde herausbekommen, dass ich schwul wäre. Dann würden wahrscheinlich sofort Eltern Angst bekommen, dass ich die Kinder belästige und würden an den Vorstand herantreten. Man setzt in diesem Bereich oft Homosexualität mit Pädophilie gleich. Das eine ist eine sexuelle Orientierung, das andere eine Krankheit. Es gibt auch in den Vorständen oder Spiel- und Schiedsrichterausschüssen homosexuelle Mitglieder, die das aber nicht bekannt machen.

Auf der Trauerfeier für Robert Enke hat DFB-Präsident Zwanziger dazu aufgerufen, das Kartell der Tabuisierer zu brechen. Hat das nichts genützt?

Solange das auf der Ebene bleibt, passiert unten nichts. Die Vereine müssten den Gedanken leben: uns ist es egal, ob einer schwul ist oder nicht, Hauptsache er macht eine gute Arbeit.

Was könnte der DFB denn dafür tun?

Der DFB muss von den Verbänden verlangen, dass sie nachweisen, was sie gegen Homophobie unternehmen. Ich habe beim niedersächsischen Fußballverband nachgefragt, was die machen. In dessen Satzung ist zwar Diskriminierung allgemein verboten, aber nicht speziell die Homophobie. Mehr machen die nicht, weil sie keinen Handlungsbedarf sehen. Die letzte Nachfrage liegt bereits vier Monate zurück. Eine Antwort ist bis dato ausgeblieben. Zum Glück gibt es andere Beispiele.

Welche?

Werder Bremen hat zum Beispiel eine Ethik-Charta, die ausdrücklich Homophobie und Sexismus untersagt. Das haben längst nicht alle Vereine. Genauso wenig wie einen schwulen Fanclub, so wie es ihn in Bremen und sogar auf Schalke gibt. Da muss mehr passieren. Ich beabsichtige, an einem Arbeitskreis gegen Homophobie der Stadt Hannover teilzunehmen, dort denkt man über ein Qualitätssiegel für Vereine nach, die sich in dieser Hinsicht positiv hervortun.

Wäre der Fall Amerell bei mehr Offenheit anders gelaufen?

Mit Sicherheit. Wenn alles offen und transparent wäre, würde es diese Günstlingswirtschaft so überhaupt nicht geben können.

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