Aufklärung von KINDESMISSHANDLUNG: Diagnose nach dem Tod

Die SPD in Hamburg stößt die Diskussion um eine Obduktionspflicht für Kinder unter sechs Jahren an. Während Kinderärzte den Vorschlag begrüßen, warnen Kritiker vor einer Traumatisierung der Eltern.

Trauma Kindstod: Eine Obduktion kann bei Eltern laut Kinderschutzbund großen Schaden anrichten. Bild: dpa

Nach der Bremer SPD fordern nun auch die Sozialdemokraten in Hamburg eine Obduktionspflicht bei verstorbenen Kindern unter sechs Jahren - allerdings nur, wenn die Todesursache unklar ist. "Obduktionen können dazu dienen, Kindesmisshandlungen zu erkennen und aufzuklären", sagte der Bürgerschaftsabgeordnete und jugendpolitische Sprecher Thomas Böwer. Dem Senat zufolge starben 2007 in Hamburg 72 Kinder dieser Altersgruppe, davon sechs eines nicht natürlichen Todes. Im Jahr 2008 waren es sieben von 59 Kindern, bei denen ein nicht natürlicher Tod festgestellt wurde.

Böwer kritisierte, dass viele Kindstötungen unentdeckt blieben. Der SPD-Politiker stützt sich dabei auf eine österreichische Studie, derzufolge bis zu sechs Prozent der Fälle von plötzlichem Kindstod in Wirklichkeit Tötungen seien.

Die Hamburger Sozialbehörde sieht indes keine Veranlassung, eine solche Regelung einzuführen. "Es ist ja bereits heute so, dass bei Anhaltspunkten für einen nicht natürlichen Tod eines Kindes sofort die Polizei beziehungsweise die Staatsanwaltschaft einzuschalten ist", sagte Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) am Freitag der taz. Daraufhin erfolge in der Regel eine innere Leichenschau, um die Todesursache festzustellen.

Gegen eine verpflichtende Obduktion ist auch der Kinderschutzbund. "Der Schaden bei den Eltern ist größer als der zu erwartende Erfolg", sagte Uwe Hinrichs vom Landesverband Hamburg. Stirbt ein Kind, seien die Eltern schon sehr traumatisiert. "Die Vorstellung, dass der Körper des Kindes aufgeschnitten wird, könnte eine weitere Traumatisierung auslösen", sagte Hinrichs. Den Vorschlag der SPD in Bremen und Hamburg bezeichnete er als "Hysterie".

Die Deutsche Kinderhilfe hingegen begrüßt die Idee einer Obduktionspflicht. "Es ist Fakt, dass zu wenige Kinder obduziert werden und Fälle von tödlichen Misshandlungen dadurch nicht aufgeklärt werden", sagte Vorstandssprecherin Julia Gliszewska. Der Kinderhilfe zufolge würden Eltern dabei keineswegs unter Generalverdacht gestellt. Sollte die Obduktionspflicht zum Standard werden, würden sich die Eltern auch nicht mehr stigmatisiert fühlen, sagte Gliszewska. Nötig sei eine Gesetzesänderung, weil Notärzte und Pädiater zu leichtfertig Totenscheine ausstellten, so die Sprecherin. "Eine diffuse Diagnose lautet dann häufig plötzlicher Kindstod."

Die Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin hat in einer Leitlinie festgelegt, wie Ärzte bei scheinbar tödlichen Misshandlungen agieren sollten:

Im Leichenschauschein immer "nicht natürlicher oder ungeklärter Todesfall" ankreuzen.

Eine sofortige Anamnese und die Auffindsituation von der Polizei untersuchen lassen.

Den Eltern vorurteilslos und nicht anschuldigend begegnen.

Die Vorgeschichte des Kindes analysieren, zum Beispiel über frühere Misshandlungen und stationäre Aufenthalte.

Gründliche Obduktion durch einen Rechtsmediziner innerhalb von 24 Stunden.

Die Kinder- und Jugendärzte in Mecklenburg-Vorpommern fordern ebenfalls eine Obduktionspflicht für Kleinkinder. "Für alle Eltern ist es im ersten Moment schwierig, wenn ihr Kind obduziert wird. Langfristig ist es aber eine Entlastung", sagte die Sprecherin des Verbandes, Christiane Trapp. So würden Eltern Gewissheit über die Ursache des Tods bekommen und dadurch den Schicksalsschlag leichter verarbeiten. Nach Angaben des Statistischen Amtes in Schwerin starben im Jahr 2008 in Mecklenburg-Vorpommern 58 Kinder unter fünf Jahren. Bei drei Kindern war laut Statistik plötzlicher Kindstod die Ursache.

Die Hamburger Bürgerschaftsfraktion der GAL kritisierte hingegen die Forderung als "unverhältnismäßig". "Eine Obduktionspflicht für Kinder ist ethisch bedenklich", sagte die kinder- und jugendpolitische Sprecherin, Christiane Blömeke. Die andauernde Diskussion in Bremen zeige außerdem, dass auch dort die Bedenken noch nicht ausgeräumt seien.

Bremen will als erstes Bundesland die Obduktionspflicht für Kinder unter sechs Jahren einführen. Diskussionen innerhalb der rot-grünen Landesregierung verzögern das Vorhaben jedoch seit einigen Wochen. Nach dem Willen von Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) sollen künftig Kinder untersucht werden, deren Todesursache unklar ist. Nachdem am Dienstag die Entscheidung über die Gesetzesänderung erneut verschoben wurde, plant der Senat nun am 13. April die Obduktionspflicht zu beschließen.

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