Pflegefälle in der Familie: Zwei Stunden Würde für 8.000 Euro
Der Film "Wohin mit Vater?" beleuchtet, was mit einer Familie geschieht, wenn ein wichtiger Mensch zu einem Pflegefall wird. Und es ist grandios gelungen
Mit auf Sachbüchern basierenden Spielfilmen ist das so eine Sache. Allzu oft bewirkt die dramaturgische Aufbereitung das Gegenteil des Gewollten, gerät die Fiktion pädagogischer, als die nüchternste Dokumentation es sein könnte. Die Figuren agieren chargenhaft, weil sie prototypisch angelegt sind. Gerade das verhindert jegliche Einfühlung. Belehrung statt Emotionalisierung.
Das ist die große Gefahr, auf die hier nur hingewiesen sei, um das Risiko aufzuzeigen, dem sich Laila Stieler und Tim Trageser ausgesetzt haben. Die Drehbuchautorin und der Regisseur haben sich das viel beachtete Pflegenotstand-Selbsterfahrungsbuch eines anonymen Verfassers vorgenommen, um daraus einen ZDF-"Fernsehfilm der Woche" zu machen. Es ist ihnen - überraschenderweise - grandios gelungen.
Nichts wirkt konstruiert, wenn plötzlich die Mutter stirbt, von der es niemand erwartet hat, die noch so fit war, sich um den gebrechlichen Vater gekümmert hat, der auf sie angewiesen war.
Was Mutter leisten musste, merken der Sohn und die Tochter, beide erwachsen und lange aus dem Haus, erst jetzt, sie sind hoffnungslos überfordert. Vaters Toilettengang etwa, eine qualvolle Prozedur, für alle. Die Nerven liegen blank, zum Trauern um Mutter bleibt gar keine Zeit.
Was tun, wohin mit Vater? Pflegedienst, Rundumbetreuung: "Für 8.000 Euro im Monat kommen sie länger als zwei Stunden am Tag." Pflegeheim, Zweibettzimmer: "In der Pflegeabteilung kostet ein Platz 3.400 Euro im Monat, Extras wie Getränke, Friseur und so weiter natürlich ausgenommen." Verlust der Würde, teuer bezahlt. Die Tochter könnte zu Vater ziehen: "Das kannst du nicht!" / "Stimmt, ich kanns nicht. Aber ich kanns auch nicht nicht." Ohnmacht und Gewissenskonflikte. Vorwürfe und Selbstvorwürfe.
Wer persönlich betroffen ist, dem muss der Pragmatismus der Pflegedienstleister kalt vorkommen: "Unsere Eltern werden alt und sterben, war von Anfang an klar. Wir sind hier nicht bei ,Wünsch Dir was', wir sind hier bei ,So isses'."
Der das sagt, ist dabei kein bisschen zynisch. Das ist eine der Qualitäten des Films. Es gibt keine sadistische Heimleiterin und keine Kinder, die nur auf das Erbe scharf sind. Niemand ist hier böse; böse sind nur die Umstände, das Leben. Die Zeiten, in denen mehrere Generationen an einem Ort unter einem Dach zusammengelebt und einander umsorgt haben, sind vorbei. So isses - und so wird es bleiben. Da gibt es keine Lösung, keine, die fair wäre. Irgendeiner bleibt auf der Strecke, muss sein bisheriges Leben aufgeben, auf unbestimmte Zeit. So kommt es auch hier, Vater, Sohn und Tochter lösen am Ende ihr individuelles, nicht aber das gesellschaftliche Dilemma. Gut so, für den Film.
Erst jetzt, nach einer Woche, die ihm vorkam wie ein Jahr, kann der Sohn um die tote Mutter trauern, um sie weinen. Gespielt wird er von Hans-Jochen Wagner, der unter ausnahmslos guten Darstellern (Anna Loos, Dieter Mann) der beste ist. Ein Typ wie ein Kleiderschrank, wird er regelmäßig für die besonders sensiblen Männerrollen besetzt; seine erste Filmhauptrolle hatte er 2003 in "Sie haben Knut" von Stefan Krohmer (Regie) und Daniel Nocke (Buch). Genau dieses Duo dreht in diesen Tagen einen Film mit dem Titel "Die fremde Familie". Es geht darum, wie Tochter (Katja Riemann) und Sohn damit umgehen, dass der Vater plötzlich zum Pflegefall wird … ("Wohin mit Vater?", Mo. 20.15 Uhr, ZDF)
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