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Kommentar Gentrifizierung St. GeorgMit Polizei zum Yuppie-Idyll

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Prostitution ist in St. Georg heute nicht verbotener als vor fünf Jahren. Deswegen gibt es auch keinen Grund, an der Bußgeldschraube zu drehen.

A nwohnerbeschwerden führt die Polizei als Grund dafür an, dass sie die Sexarbeiterinnen in St. Georg nun verstärkt zur Kasse bittet. Das ist sogar plausibel: St. Georg hat in den letzten 20 Jahren eine beispiellose Aufwertung erlebt. Hunderte Wohnungen sind in Eigentum umgewandelt worden. Wohl kein Stadtteil hat so einen gründlichen Bevölkerungsaustausch erlebt. Nur eine Frage der Zeit, wann die neuen Herren feststellen, dass das pittoreske Lokalkolorit auch seine unangenehmen Seiten hat.

Wer eine halbe Million für seine Wohnung hingelegt hat, ist eben nicht scharf darauf, auf dem Heimweg von Junkies angekobert zu werden, die sich kaum auf den Beinen halten können. Und wer wegen der tollen Kneipenszene hergezogen ist, möchte beim Feierabendbier nicht vom Freierverkehr gestört werden. Alles verständlich.

Nur, dass die Polizei bereit steht, um den Yuppies das erträumte Idyll zu verschaffen, kann nicht angehen. Prostitution ist in St. Georg heute nicht verbotener als vor fünf Jahren. Deswegen gibt es auch keinen Grund, an der Bußgeldschraube zu drehen. Warum die Polizei sich dazu ermächtigt fühlt, gegen den politischen Kurs quer zu schießen? Vielleicht gab es einen Wink aus dem Bezirksamt. Oder sogar aus der Innenbehörde, was Knatsch in der Koalition geben müsste. Oder es wackelt einfach der Schwanz mit dem Hund.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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5 Kommentare

 / 
  • MN
    Mein Name

    Die Bußgelder sollten nicht von den F Dienstleister/innen erhoben werden, sondern von deren Kunden. Denn: Die Kunden sind diejenigen, die die Lage der Anbieter/innen ausnutzen.

    Die Bußgelder sollten dann tatsächlich an die Sozialarbeit weitergeleitet werden.

  • S
    sel

    Als Anwohner kann ich nur sagen, dass ich mich durch die Eigentumswohnungs-Käufer mehr gestört fühle, als durch die Straßenprostitution. Was müssen wir in St. Georg in den letzten 10 Jahren denn erleben, eine massive 'Aufwertung' des Viertels, die eigentlich nur Anleger-Interessen bedient. Rasant steigende Mieten, eine Kneipen-Monokultur, die die letzten alten Einzelhändler aus ihren Läden drängt. Auf der Langen Reihe kann ich gefühlte 5000 x Kaffe trinken, aber Fisch kaufen oder zum Fleischer gehen geht nicht mehr. Jetzt kommt noch die Yuppisierung des Hansa-Platzes dazu, getragen auch durch die Eigentümervereinigung 'Kultur statt Kameras', die mit Ihren Kunstprojekten die Trinker und Penner vertreiben und sich auch noch moralisch überlegen fühlen.

  • DT
    Dr.med. Thomas Leske

    Anwohnerbeschwerden verständlich?

     

    Verständlich und plausibel wäre doch, dass jemand, der eine Eigentumswohnung in St.Georg erwirbt, damit auch die Besonderheiten des Quartiers mit "einkauft". Und nicht gleich bemäkelt, dass in diesem Stadtteil traditionell eine Rotlicht-Szene existiert, in der Dienstleistungen angeboten werden, die anscheinend immer noch eine stabile Nachfrage erfahren, obwohl in unserer Zeit sexuelle Freizügigkeit selbstverständlich geworden ist. Und eigentlich hierfür gar kein Bedarf mehr bestehen sollte. Mir scheint das aber nicht verwunderlich, denn der "normale Freier", den es ja gibt und der nicht notwendiger Weise ein Sex-Monster sein muss, kauft ja auf dem Strich nicht den Sex, den er (wie oft argumentiert wird) "auch zu Hause" haben könnte und sogar "noch billiger". Stattdessen sucht er den besonderen "Thrill" oder "Kick". Daher wird auch die Nachfrage dieser besonderen Art von Dienstleistungen auch weiterhin verläßlich ihr Angebot suchen und an bestimmten Orten in der Stadt auch finden wollen. Was die Dienstleisterinnen betrifft, sind wir es als Bewohner eine Metropole schuldig, ihnen dafür (auch mitten in der Stadt einen Raum zu geben, in dem sie ihrer Sexarbeit unter menschenwürdigen Bedingungen nachgehen können. Sperrgebiete offenbar nur deshalb geschaffen, um über Bußgelder und andere schikanöse Maßnahmen diese Szene besser kontrollieren zu können, sind unwürdig und wirken sich zudem kontrapunktiv aus. Daher war es nur folgerichtig, dass eine kleine Gruppe von Frauen von RAGAZZA an der Parade "Recht auf Stadt" im vergangenen Jahr teilgenommen und dabei Schilder hochgehalten hat, auf denen zu lesen stand: "weg mit den Sperr-bezirken! Wir haben (auch ein Recht auf Stadt." Mit diesen Schildern sind sie übrigens (als der Zug zum halten kam auch auf dem Gänsemarkt ganz nahe auf die schwer gepanzerten Polizisten zugegangen. Wohl wissend, das sich gerade unter diesen "Hütern der Ordnung" sowohl Unterdrücker als auch "Kunden" aber auch solche Menschen befinden, die beides in einer Person sind.

    Zu den Bußgeldern: solange die nicht abgeschafft sind, sollten sie in der Höhe moderat sein und die Stadt sollte sich nicht daran bereichern, sondern diese ohne jeden Abzug von Verwaltungskosten denjenigen Institutionen (wie z.B. RAGAZZA) zukommen lassen, die Sozialarbeit für die Sexarbeiterinnen leisten!

    Dr. med. Thomas Leske

  • DT
    Dr.med. Thomas Leske

    Anwohnerbeschwerden verständlich?

     

    Verständlich und plausibel wäre doch, dass jemand, der eine Eigentumswohnung in St.Georg erwirbt, damit auch die Besonderheiten des Quartiers mit "einkauft". Und nicht gleich bemäkelt, dass in diesem Stadtteil traditionell eine Rotlicht-Szene existiert, in der Dienstleistungen angeboten werden, die anscheinend immer noch eine stabile Nachfrage erfahren, obwohl in unserer Zeit sexuelle Freizügigkeit selbstverständlich geworden ist. Und eigentlich hierfür gar kein Bedarf mehr bestehen sollte. Mir scheint das aber nicht verwunderlich, denn der "normale Freier", den es ja gibt und der nicht notwendiger Weise ein Sex-Monster sein muss, kauft ja auf dem Strich nicht den Sex, den er (wie oft argumentiert wird) "auch zu Hause" haben könnte und sogar "noch billiger". Stattdessen sucht er den besonderen "Thrill" oder "Kick". Daher wird auch die Nachfrage dieser besonderen Art von Dienstleistungen auch weiterhin verläßlich ihr Angebot suchen und an bestimmten Orten in der Stadt auch finden wollen. Was die Dienstleisterinnen betrifft, sind wir es als Bewohner eine Metropole schuldig, ihnen dafür (auch mitten in der Stadt einen Raum zu geben, in dem sie ihrer Sexarbeit unter menschenwürdigen Bedingungen nachgehen können. Sperrgebiete offenbar nur deshalb geschaffen, um über Bußgelder und andere schikanöse Maßnahmen diese Szene besser kontrollieren zu können, sind unwürdig und wirken sich zudem kontrapunktiv aus. Daher war es nur folgerichtig, dass eine kleine Gruppe von Frauen von RAGAZZA an der Parade "Recht auf Stadt" im vergangenen Jahr teilgenommen und dabei Schilder hochgehalten hat, auf denen zu lesen stand: "weg mit den Sperr-bezirken! Wir haben (auch ein Recht auf Stadt." Mit diesen Schildern sind sie übrigens (als der Zug zum halten kam auch auf dem Gänsemarkt ganz nahe auf die schwer gepanzerten Polizisten zugegangen. Wohl wissend, das sich gerade unter diesen "Hütern der Ordnung" sowohl Unterdrücker als auch "Kunden" aber auch solche Menschen befinden, die beides in einer Person sind.

    Zu den Bußgeldern: solange die nicht abgeschafft sind, sollten sie in der Höhe moderat sein und die Stadt sollte sich nicht daran bereichern, sondern diese ohne jeden Abzug von Verwaltungskosten denjenigen Institutionen (wie z.B. RAGAZZA) zukommen lassen, die Sozialarbeit für die Sexarbeiterinnen leisten!

    Dr. med. Thomas Leske

  • B
    Breaking

    Warum sollte es denn Knatsch in der Koalition geben. Die FDP, äh, die Grünen sind doch der Schutzpatron der Wohnungskäufer mit "Gewissen". Ach ja, die haben ja auch bezahlt, oder? Da sollte die grüne Union mal die Klappe halte...