Lust an der Forschung: Wo bleibt die Leidenschaft?
Die Studis wollen nicht mehr und die Lehrenden fördern nicht mehr: Professorin Ute Frevert sieht den Untergang der Forschung und ruft bei der Abschlussveranstaltung zum Umdenken auf.
Jan Feddersen (taz-Redakteur für besondere Aufgaben und Leiter des Bildungslab) gibt die titelgebende Frage zum Abschluss des Bildungs-Labs an die Professorin Ute Frevert weiter: Wie soll die Universität der Zukunft aussehen?
Bildung, so Frevert, steht immer im Zusammenhang mit der Zukunft: Stets geht es darum, die Zukunft vorzubereiten. Insofern könne sie als Historikerin an der Aufgabe die Uni der Zukunft zu umreissen nur scheitern, schließlich sei sie hauptberuflich mit der Vergangenheit befasst. Aber sei`s drum. Sie ginge jetzt mal die Erwartungen aller Akteure durch – um dann zum Schluss zu skizzieren, wie die Universität aussieht, die sie sich wünscht. Welche Universität will die Gesellschaft? Die Gesellschaft erwartet von der Universität, dass sie als Ausbildungsstätte für künftige LeistungsträgerInnen funktioniert. Sie soll ExpertInnen hervorbringen, die ihrerseits Leistung und Wachstum bringen. Und zwar im globalen Maßstab.
Gerade weil Universitäten die Grundlage für die zukünftige Gesellschaft legen, weil sie der Zukunft verpflichtet sind, müssen sie breiter, abstrakter, theoretischer, fundamentaler sein als die Gegenwart: Sie müssen mit ihrem Bildungsangebot über die Gegenwart hinausweisen. Leise deutet die Historikerin eine Kritik an der gegenwärtigen Politik an: Das Lieblingswort der Bildungspolitiker sei „Berufsvorbereitung“.
wurde 1954 geboren, kommt nach eigenen Angaben aus der unteren Mittelschicht, studierte Geschichte und hat eine akademische Bilderbuchkarriere absolviert. Nach einer Professur in Bielefeld für Neuere Deutsche Geschichte, kam der Ruf nach Yale und seit 2008 ist Frau Frevert Direktorin am Max-Planck-Institut Berlin mit dem Schwerpunkt „Geschichte der Gefühle“.
Zukunftsfähig aber sei die Uni nur, wenn sie auf Berufe vorbereitet, die wir heute noch gar nicht kennen. Ergo: Sie muss die Kompetenz vermitteln, Probleme zu analysieren. Das, so Frevert, ist ihre eigentliche Aufgabe. Der Haken nun sei: Die Gesellschaft erwarte viel, sehr viel von der Universität, will aber nur sehr wenig Geld in sie investieren. Sie will die Ausbildungsleistung maximal billig haben.
Welche Universität will das Lehrpersonal?
Die ForscherInnen wollen forschen. Sie wollen eine Uni, die sie in ihrer Forschung maximal unterstützt. Und das heisst für die meisten: Sie erwartet von ihrer Universität, dass sie ihnen die Studierenden so gut wie vom Hals hält. Höflicher formuliert: Die Lehrlast (teachingload) reduziert. Das von Humboldt ausgegebene Ideal von der Einheit von Forschung und Lehre, sein Diktum den Menschen durch Wissenschaft zu bilden, ist nicht (mehr) ihr Ideal. Jeder Professor, so Frevert, schätzt sich glücklich, wenn er oder sie ein Forschungssemester bewilligt bekommt.
Generell, und jetzt redet sich Frevert fast in Rage, gehe es immer um die Forschung, nie um die Lehre. Forschung, darin seien sich inzwischen offenbar alle EntscheidungsträgerInnen einig, die Forschung treffe die ultimative Aussage über den emanzipatorischen Zustand der Gesellschaft. Die Vermittlung der Forschungsinhalte wird als nachrangig erachtet. Auf diese gesellschaftliche Setzung reagieren auch die Institutionen, die die Gelder verteilen: Also die Exzellenzinitiative, die DFG, die Thyssen-Stiftung etc. Forschung wird heute in Deutschland ohne Kontakt zu den Studierenden betrieben.
Und das ist für beide Seiten problematisch. Denn, davon ist Frevert überzeugt: Forschung gewinnt durch Lehre. So zwingt die Lehre die Forscherin, Relevanzkriterien für ihr Forschungsfeld zu benennen – die Vermittlung von Forschungsergebnissen zwingt dazu, das Erforschte, mithin das akkumulierte Wissen zu rekonturieren. Die Kritik der Studierenden sei unverzichtbar.
In den USA etwa gibt es noch die Verbindung zu Studierenden. Als sie ihren Ruf nach Yale bekam, erzählt Frevert, hatte sie bereits eine Superstelle in Bielefeld. Mit Forschungsgeldern, Sabbatjahren, alles. Insofern fragte sie sich ernsthaft: Warum sollte ich nach Yale übersiedeln? Wegen der Studierenden. Die, und das haben ihr alle Kollegen gesagt, die sind das tollste an Yale, allen voran die Undergraduates. Auf das Beste zu verzichten, darauf kommt in den USA niemanden. Das ist ein deutscher Sonderweg.
Wo bliebe hier die Lust daran, den Studierenden das Wertvollste zu vermitteln, nämlich die Lust an der Forschung? Der Rückzug der Forscher aus der Lehre führt dazu, dass die Studierenden die Forschung als kalt, als abstrakt erleben. Sie kriegen ja nichts mehr mit von den Fragen, von den Zweifeln, von der Neugier und der Begeisterung der Forschenden. Sie bekommen nichts mehr mit von der Lust an Gewissheiten zu knabbern und zu zweifeln. Und dann auch Rückschläge zu erleiden und daraus die Energie zu entwickeln, weiter zu fragen. Die Lehrenden verzichten mit ihrem Rückzug darauf, das wichtigste den Studierenden zu vermitteln: Die Leidenschaft zu forschen.
Was erwarten die Studierenden von der Universität?
Wollen die Studis überhaupt forschen? Wollen sie die Wissenschaft kennen lernen? Frevert hat da ihre Zweifel. Dennoch: Es gibt das Kollektiv „der Studierenden“ nicht. Angesichts von 2 Millionen Studis sei das auch nicht weiter verwunderlich. Studierende sind keine homogene Gruppe. Das vorweg.
Nun geht Frevert den aktuellen Forderungskatalog der politisierten Studis durch: Die Studiengebühren abzuschaffen sei vor allem eine populistische Forderung. Eine Begründung bleibt sie an dieser Stelle schuldig. Wichtiger ist ihr die Kritik, dass für die allermeisten Studis die Uni nicht mehr den Lebensmittelpunkt darstelle. Das eigentliche Leben findet im Hotel Mama, beim Jobben, im Kieu statt Studium, so spitzt Frevert zu, ist die Restzeit eines anderweitig ausgefüllten Leben. Etwas erschrocken über die eigene Thesenfreudigkeit räumt die Professorin sofort ein, dass sei natürlich eine starke These.
Dennoch: Angesichts der lebensweltlichen Distanz der Studierenden zur Uni mache sie die Forderung nach einem selbst bestimmten Lernen sehr skeptisch. Die meisten Studierenden scheinen über neuen, klaren Strukturen sehr glücklich. Die Einteilung in Bachelor- und Masterstudiengänge käme zumal den Studis entgegen, die nicht aus akademischen Haushalten stammen. Und dann: dieses ewige Lamentieren der Studi-VertreterInnen über Konkurrenz und Leistung! Auch hier hätten sie den Kontakt zu der Mehrheit der Studierenden und damit zur Realität offenkundig verloren.
Heute sähen die meisten jungen Leute Konkurrenz und Leistung als positive Erfahrungen an. Insofern, und das findet auch Ute Frevert, stehen sie dem selbst bestimmten Lernen nicht entgegen. Im Gegenteil. Frevert ist überzeugt: Bei Konkurrenz gewinnt jeder. Die Tabuisierung von Konkurrenz, das ist eine altbackene rhetorische Formel. Die ebenfalls kritisierte Ökonomisierung der Lehre, dass also Wirtschaftsinteressen die Universität von heute dominiere – auch das ein Popanz. Die Ökonomisierung, so sie denn stattfindet, ginge nicht von „der“ Wirtschaft aus, sie würde von den Studierenden selbst gewünscht.
Ute Freverts Vorstellung einer idealen Universität
Meine Universität ist offen – und sie ist offensiv. Sie erneuert die Bildungsoffensive, von der ich in den 60ern und 70ern so profitiert habe. So wie die meisten meiner Kollegen, komme ich der unteren Mittelschicht. Und jetzt ist es unsere Aufgabe, die zu unterstützen, die wirklich im Regen stehen: Die Leute aus Migrantenfamilien.
Aber, so schränkt sie ein, ich würde nicht alle aufnehmen. Das wichtigste für mich ist Leistungsbereitschaft, also ein Engagement, das über das Normalerwartbare hinausgeht. Und noch wichtiger: Die Neugier und die Begeisterungsfähigkeit. Sie sind der wichtigste Rohstoff für jeden Studierenden. Ich würde allen Studierenden einen furiosen Empfang bereiten, großes Fest für sie veranstalten. Dann würde ich ihnen klare Ansprechpartner zu Seite stellen, keinen Coach, Paternalisierung lehne ich ab.
Ganz wichtig: Meine Universität verlangt von den Studierenden, dass sie das Studium wieder zu ihrem Lebensmittelpunkt machen. Man muss dafür nicht auf dem Campus wohnen, aber man verbringt die meiste Zeit in der Universität –und nicht beim Joggen. Präsenz, körperliche Präsenz wird als Voraussetzung fürs Lernen akzeptiert.
Im ersten Jahr wird allen Studierenden eine breit angelegte Orientierungsphase angeboten: Präsentiert werden nicht Fächer, sondern Themen: Armut, Glück, Ökonomie. So kann der Studierende herausfinden, was ihn und sie wirklich interessiert. Und last but not least: Das Studium braucht eine Fundamentierung in einem Fach. Interdisziplinarität ist kein Allerheilmittel. Erst muss ich eine Forschungsmethode begriffen haben, dann kann ich mich öffnen.
Der Applaus fiel höflich aus. Aus Zeitgründen konnte nur ein Statement zugelassen werden. „Ich bin ganz außer mir“, sagt ein junger Mann. Wie können Sie sagen, dass die Studierenden mit der aktuellen Situation zufrieden wären? Wo waren Sie heute? Frevert antwortet: „Es tut mir leid, dass Sie nur die Kritik an Ihrer Position gehört haben und nicht auch meine Kritik an den Lehrenden.“
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