„Man hat diese drei Dollar einfach nicht!“

ECHT Greta Gerwig („Frances Ha“, Panorama) über New York, ihre Suche nach dem Rhythmus und das Intime am Sockenausziehen

■ Schauspielerin, Drehbuchautorin und Lieblingsstar des unabhängigen US-amerikanischen Films. 1983 wurde sie in Kalifornien geboren, sie lebt in New York. Unter anderem war sie in „Baghead“ und „Yeast“ von Jay und Mark Duplass (beide 2008) zu sehen, in Noah Baumbachs „Greenberg“ (2010), in Whit Stillmans „Damsels in Distress“ (2011) und in Woody Allens „To Rome with Love“ (2012) .

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Wie ist es, eine Figur zu erfinden, die man hinterher selbst spielt?

Greta Gerwig: Während ich schreibe, denke ich nicht daran, dass ich später in die Rolle schlüpfe, so wie Noah Baumbach auch nicht daran denkt, dass er das, was er schreibt, später verfilmen wird. Ich schreibe, was mir richtig erscheint, und überlege mir erst nachher, wie ich es umsetze. Frances fliegt ja zum Beispiel für 48 Stunden nach Paris, wo sie dann die ganze Zeit schläft. Es musste uns irgendwie gelingen, in Paris zu drehen. Beim Dreh versuche ich aber, zu vergessen, dass ich auch Drehbuchautorin bin.

Halten Sie sich ans Buch? Oder ändern Sie viel am Set?

Wir halten uns dran. Wir haben schließlich hart am Buch gearbeitet. Die Sprache ist uns sehr wichtig, die Wortwahl sehr genau. Also haben wir nichts verändert, und wenn die Schauspieler zu improvisieren versuchten, haben wir gesagt: „Sehr schön, aber lasst uns bitte das nehmen, was wir geschrieben haben.“ Die Dialoge wirken wie interaktive Poesie. Sie klingen zufällig, aber sie sind es nicht.

Wie erreichen Sie das?

Es ist unser Wunsch, dass es zufällig poetisch wirkt. Es klappt vielleicht nicht immer. Aber ich liebe es, wie Wörter in einer leicht verschobenen Syntax klingen. Wie eine Szene einen besonderen Rhythmus erhält. Ich schreibe zwar nicht in fünfhebigen Jamben, aber ich suche nach einem Rhythmus. Und ich kann hören, wenn Schauspieler, vor allem beim Vorsprechen, diesen Rhythmus verstehen und aufgreifen. Es ist sehr aufregend, wenn sie sich selbst in diesem Rhythmus wiederfinden, ein bisschen, als wären sie Jazzmusiker. „Frances Ha“ soll sich wie ein Popsong anfühlen – wenn er vorbei ist, will man ihn noch mal hören.

Bemerkenswert an „Frances Ha“ ist, dass Nähe und Intimität nicht nur in einer Liebes-, sondern auch in einer Freundschaftsbeziehung vorhanden sind. Ich denke zum Beispiel an die Szene, in der Sophie und Frances im selben Bett schlafen und Sophie Frances darum bittet, die Socken auszuziehen.

Freundschaft spielte in meinem Leben – und in dem anderer Leute – zu einer bestimmten Zeit eine große Rolle, sie hat eine besondere Intensität, und es ist schmerzhaft, sich davon zu verabschieden, das Leben weiterlaufen zu lassen, dazu überzugehen, Intimität zuallererst in einer Liebesbeziehung zu leben. Frances fällt es schwer, Sophie gehen zu lassen, sie hofft eigentlich darauf, mit Sophie zusammenzuleben. Nicht weil sie sexuell von ihr angezogen wäre, sondern weil Sophie unter all den Menschen, die sie kennt, diejenige ist, in die sie am meisten verliebt ist. Als wir die Szene schrieben, dachten wir: Frances erobert Sophie zurück. Aber es war klar, dass Sophie am nächsten Morgen fort sein würde. Das ist eine Stilfigur aus der romantischen Komödie, wir haben sie uns ausgeborgt und auf ein Freundschaftsverhältnis übertragen.

Wie spielt man Nähe und Intimität, wenn man das Gegenüber kaum kennt?

Mickey Summer, die Sophie spielt, ist ganz anders als ihre Rolle. Sehr glamourös, sehr britisch, blond und sexy. Wir sorgten dafür, dass sie sich die Haare färbt und sich einen amerikanischen Akzent zulegt. Beim Vorsprechen war sie die Einzige, der es gelang, die Nähe so zu spielen, dass sie echt wirkte. Andere Schauspielerinnen lächelten mich die ganze Zeit an, was dann eher so aussah, als wären wir gerade nicht befreundet.

Frances hat eine eigenwillige Mischung aus Anmut – sie ist Balletttänzerin – und Ungeschicklichkeit. Wie kommt diese Mischung zustande?

Alle Tänzer, die ich kenne, neigen dazu, ungeschickt zu sein. Das Ballett organisiert ihre Körper. Und Frances ist ein großes Durcheinander, sie weiß nicht, wie sie sich selbst kontrolliert und wie sie sich zielgerichtet bewegt, solange sie nicht die vorgegebene Struktur einer Choreografie oder einer Freundschaft hat. Sobald das wegfällt, scheitert sie.

War es Ihnen wichtig, dass „Frances Ha“ ein Bild von New York entwirft, das stark im echten, gegenwärtigen New York verwurzelt ist?

Ich liebe New York, ich lebe dort, seit ich am College war. Wie man diese Stadt erlebt, hängt stark davon ab, wie viel Geld man hat. In vielen Filmen und Fernsehserien wird behauptet, die Figuren hätten wenig Geld, aber es wird eigentlich nie genauer betrachtet, was das bedeutet. Und das wollte ich untersuchen, zumal ich ja selbst erlebt habe, wie es ist, sich in New York als Künstlerin kaum über Wasser halten zu können. Was es heißt, wenn man eine Steuerrückzahlung erhält. Oder wenn man am Geldautomaten steht und sich überlegen muss, ob man sich die drei Dollar Gebühr leisten kann. Man hat diese drei Dollar einfach nicht!

Hatten Sie filmische Vorbilder für das New-York-Bild von „Frances Ha“?

Die Filme von Woody Allen aus den siebziger und den frühen achtziger Jahren. Nicht nur wegen der Art und Weise, wie er die Stadt fotografiert, sondern auch weil es bei ihm eine Gemeinde von Leuten gibt, die sich immer wieder zufällig begegnet. Was mir auch passiert. Noah und ich wollten außerdem, dass der Film einen klaren, fast statischen Rahmen bekommt, in dem sich die Aktion vollziehen kann. Es ist genug Raum vorhanden, wir haben nicht ein Close-up nach dem anderen, ein Gesicht nach dem anderen, ohne dass man die Körper sähe. Wir arbeiten stattdessen mit Totalen, sodass es Platz für Körperkomik gibt.

Sie haben selbst in der Wohnung in Chinatown gelebt, in der Frances eine Weile unterkommt. Wie ist es, wenn ein Teil des eigenen Alltags zur Filmlocation wird?

Er gehört dann dem Film. Ich könnte dort danach nicht mehr leben, so wie ich auch Kleidungsstücke, die ich in einem Film verwende, später nicht mehr tragen kann. Zum Beispiel die Holzschuhe, die Frances trägt: die kann ich nie wieder anziehen. Sie gehören nicht mehr mir, ich habe sie dem Film geschenkt. Die Wohnung habe ich mir quasi unzugänglich gemacht, aber das ist okay – ich habe mich weiterbewegt.