JEREMY IRONS VS. DEN-DESSEN-NAMEN-MAN-NICHT-AUSSPRICHT
: Auch ich spiele gern Schach

Draußen im Kino

VON DETLEF KUHLBRODT

Irgendwie war mir entgangen, dass auch Jeremy Irons in Berlin ist. Ich hatte gerade eine Dose Hühnersuppe gegessen und das Tagesprogramm gescannt, und plötzlich war mir sein Name ins Gesicht gesprungen. Dann war ich in „Nachtzug nach Lissabon“ gerannt. Gern schaute ich dem berühmten Schauspieler zu und dachte an die Zeit, als Jeremy Irons mein Role Model war. Ich wusste noch genau, wie ich Dorothee Wenner, die nun fokussiert viele Filmgespräche im Forumsprogramm leitet, gesagt hatte, Jeremy Irons sei mein Role Model und dass ich mit Freuden in jeden Film gehe, in dem er mitspielt. Gerade fällt mir nur „Dead Ringers“ von David Cronenberg ein. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob meine Jeremy-Irons-Begeisterung nun ernst oder nicht doch eher ironisch gemeint war.

In „Nachtzug nach Lissabon“ gefiel er mir jedenfalls gut. Deshalb ging ich auch zur Pressekonferenz. Zuletzt war ich vor zwei Jahren auf einer Pressekonferenz gewesen, um einem anderen Ex-Role-Model von mir, Gérard Depardieu, beim Reden zuzugucken. Depardieu wird von mir nur noch „Der-dessen-Namen-man-nicht-ausspricht“ genannt.

Jeremy Irons mag ich dagegen immer noch gern. Als ich ihn auf der Pressekonferenz sah, fiel mir ein, dass ich ihn am Abend zuvor auf freier Wildbahn, nach der Aufführung von Yoji Yamadas „Tokyo Family“ im CinemaxX, getroffen hatte. Mir war nur nicht klar gewesen, dass das tatsächlich Jeremy Irons war. Weil ich ja nicht gewusst hatte, dass er in Berlin ist. Am Anfang des Films spielt er Schach mit sich selbst. Ein Telefon klingelt, er macht einen Zug und sagt: „That’ll make you think.“ Super! Weil ich selbst auch gern Schach spiele, bedauerte ich, dass die Stellung auf dem Schachbrett nicht gezeigt wurde.

Aus Interesse am Schachspiel ging ich dann später noch in den Forumsfilm „Computer Chess“, der mir auch gut gefiel. Das schöne, schwammige Schwarz-Weiß des Films ist eine Labsal für die durch HD terrorisierten Augen. Für Details des Schachspiels interessierte sich dieser Film aber leider auch nicht.

Hinter mir unterhielten sich zwei über „Tokyo Family“. Sie fanden den Film langweilig. Kurz wollte ich mich umdrehen und ihnen erklären, wieso der Film toll ist; dass sie sich, um den Film richtig genießen zu können, Ozus „Tokyo Story“ von 1953 angucken müssten, weil „Tokyo Family“ ja ein Remake des berühmten Ozu-Films ist. Das ließ ich dann aber, lehnte mich zurück und freute mich sehr, endlich wieder im Delphi zu sein (im alten Westen, mit Tagesspiegel umsonst und den ganzen Erinnerungen!). Von den Alltagsbildern des chinesischen Films „Forgetting to Know You“ von Quan Ling war ich ganz begeistert und auch davon, dass die Leute im Delphi beim Abspann sitzen bleiben.

Später dachte ich an den chinesischen Künstlerfilm „Yumen“ und daran, wie mir dieser Film zunächst nicht gefallen hatte, vielleicht weil ich viele ähnliche Filme kenne, und wie ich den Film dann doch gut fand, nachdem mir ein Student gesagt hatte, der Film habe ihm so gut gefallen. Anders als ich kannte er solche Filme ja nicht. Nur über einen Film, „Echolot“ von Athanasios Karanikolas (Forum), habe ich mich sehr geärgert. Eine Clique junger Leute trifft sich in einem Landhaus, um an einen Freund zu denken, der sich das Leben nahm. Die Kamera guckt nur von außen die jungen Leute an, die unfähig sind, mit der Situation umzugehen. Ihre Gespräche sind oberflächlich, sie haben Sex miteinander. Man hat nicht das Gefühl, dass einer der Protagonisten mit dem Toten befreundet war. Die Schauspieler sind gut, aber der Filmemacher denunziert seine Protagonisten. Ich war entsetzt und wütend, weil ich als Jugendlicher eine ähnliche Geschichte erlebt habe, und schockiert, weil einer der Schauspieler so ähnlich aussah wie ich mit 20.