ANJA MAIER TASCHENGELD
: Einfach die Schnauze halten

360 Euro zahlen und nichts essen? Klingt bescheuert. War aber meine beste Entscheidung seit Langem

Es gibt im Leben Momente, da möchte man gern mal einen funktionstüchtigen Zeittunnel dabeihaben. Solch einen Moment hatte ich zum Beispiel vor einer Woche: Ich traf mich nach mehr als zwanzig Jahren mit meinem Exfreund.

Zwei Dinge beeinträchtigten meine Vorfreude. Einerseits das Wissen, dass „nach mehr als zwanzig Jahren“ bedeutet, um exakt diese Zeitspanne gealtert zu sein. Andererseits die Gewissheit, sich pro Jahr etwa ein Kilo draufgefressen zu haben. Nicht schön. Und so blieb nur die Hoffnung, dass auch der Ex es nicht immer leicht gehabt hat und sich in etwa die gleichen Gedanken machen muss. (Eine Art Sondergedanke auf dem Spezialgebiet weiblicher Minderwertigkeits-Gedanken-Ketten.) Und das, obwohl ich gerade fünf Kilo abgenommen hatte, also rechnerisch nur fünfzehn Jahre älter aussehen konnte.

Zum Jahresbeginn nämlich hatte ich 360 Euro bezahlt, um eine Woche nichts zu essen. Viel Geld für nothing, werden Sie denken. Aber so war es nicht. Denn ich hatte mir eine Fastenwoche in Thüringen gekauft.

Keine Angst, ich will Sie nicht mit den körperlichen Details einer Heilfastenkur langweilen oder schocken. Andere in meiner Fastengruppe waren da weitaus mitteilsamer. Von mir jedoch kein Wort über Körperliches – ich will, dass Sie mir als LeserIn erhalten bleiben.

Nur so viel: Die 360 Euro fürs Nichtessen waren sehr gut angelegtes Geld. Ich reiste dafür in ein Kloster, bekam morgens und abends Yogaunterricht, wanderte durch liebliche Landschaften, trank hektoliterweise Tee, aß nullkommanix, verlor Gewicht, hielt einfach mal die Schnauze – und bekam dafür etwas, von dem ich angenommen hatte, es sei nicht mehr lieferbar: Ruhe.

Noch Tage nach der Kur – ich war längst wieder in den Fährnissen des Alltags gefangen – saß ich tumbe glotzend dabei, wenn die werten Kollegen sich stritten, und repetierte mein Fastenmotto: Einfach die Schnauze halten. Ich hielt sie und wünschte mir, bald wieder 360 Euro für Ruhe ausgeben zu dürfen.

An dem Abend, an dem ich mich zum Treffen mit dem Exfreund aufmachte, war ich dann doch ganz schön aufgeregt. Ich meine, vor mehr als zwanzig Jahren – da war ich ein junges Ding gewesen. Geringschätzig älteren Frauen gegenüber sowie der festen Überzeugung, Mutter Natur würde in meinem Fall selbstredend eine Ausnahmeregel vom Alterungsprozess erlassen. Heute weiß ich: Es gibt sie nicht, diese verdammte Ausnahme. Auch nicht für Männer.

Der Ex saß hinter einem weiß gedeckten Restauranttisch. Gut sah er aus. Also gut und genauso alt wie ich. Eine Kerze zeichnete unsere Züge weich, der Rotwein sorgte für Erinnerungsfirnis, wir zeigten uns auf unseren iPhones Katzen- und Kinderfotos. Später auch Ehemänner- und -frauenfotos. Es war großartig. Ich wurde ganz ruhig. Tatsächlich, gut angelegte 360 Euro.

Die Autorin ist taz-Parlamentskorrespondentin Foto: W. Borrs